Der finanzielle Schaden ist das eine. Welcher Rettungsschirm aber schützt vor dem inhaltlichen Verlust, wenn die Kultur stillsteht?

Kultur markiere „die geistigen und sozialen Koordinaten einer Gemeinschaft“, so hat es die frühere Hamburger Kultursenatorin Christina Weiss einmal sehr klar zusammengefasst. Was also passiert nun, wenn diese Koordinaten sich langsam aufzulösen scheinen? Die neu verkündeten Zeitpläne, die nun zunächst bis Ende August reichen und damit auch die Absagen aller Sommerfestivals zur Folge haben und bereits in den Saisonbeginn einiger Bühnen hineinreichen, haben es noch einmal verdeutlicht: Der durch die Coronapandemie notwendige jähe Bruch ist kein vorübergehender Ausnahmezustand, sondern eine „neue Normalität“ – für das kulturelle Leben der Stadt ist das keine überraschende, aber eine besonders bittere Nachricht.

Orte, zu deren Hauptwirkungsfeldern die Kommunikation und das Miteinander-in-Kontakt-Bringen gehören, stehen voraussichtlich über viele weitere Monate nicht zur Verfügung. Manche, die dort sonst gestalten, sind wie paralysiert, andere haben sich ins digitale Dauersenden gestürzt, viele kämpfen mit Existenzängsten oder begleiten Weggefährten dabei. Kein idealer Nährboden für kreatives Arbeiten, dabei ist das Bedürfnis danach gerade jetzt enorm. Der sonst an diesen Orten selbstverständliche Diskurs – auf den Bühnen, während der Vorstellungen, aber eben auch davor, danach, dahinter – kann weiterhin nicht stattfinden. Das bedeutet auch: Stimmen werden nicht gehört, Konflikte nicht eingeordnet, es mangelt an den tröstlichen Glücksmomenten im Konzert, am Energieschub, den ein gemeinsames Liveerlebnis bewirken kann.

Der weitgehende Verlust des kulturellen Lebens mag nicht im Zentrum dieser Krise stehen – ein bloßes „First World Problem“ ist er trotzdem nicht. Kultur, man muss das Mantra wiederholen, ist nicht nur Unterhaltung, Freizeit und Ablenkung (wobei diese Funktionen – siehe Film und Buch – derzeit kaum zu unterschätzen sind). Kultur bedeutet auch die beständige Auseinandersetzung mit Werten, Ideen, Idealen, Widerständen, Visionen und Verfehlungen, bedeutet die permanente geistige und emotionale Erneuerung.

Welcher Rettungsschirm schützt vor inhaltlichem Verlust?

Mut macht durchaus, dass der amtierende Hamburger Kultursenator Carsten Brosda früh klargestellt hat, wie selbstverständlich die Kultur gleichberechtigter Teil der Verhandlungen um die Rettungsschirme war. Mit ihnen werden die schlimmsten finanziellen Schäden abgefedert, und es wird anerkannt, welche Bedeutung eine breitgefächerte kulturelle Szene für eine Gesellschaft hat. Die Signalwirkung ist nicht zu unterschätzen! Welcher Rettungsschirm aber covert den inhaltlichen Verlust?

Die nicht stattfindenden Premieren, über die diskutiert worden wäre, die Konzerte und Festivals, deren Sinnstiftung und Ausgelassenheit und Fröhlichkeit nun ausbleiben? Es fehlt die „Kunst der Betrachtung“, die Reibungsfläche, es fehlen Podiumsdiskussionen, die etwa auf Menschenrechtsverletzungen in griechischen Lagern hinweisen, es fehlen all die großen und kleinen Geschichten, die nicht erzählt werden, all die Subtexte, Verrücktheiten und Zwischentöne, die nicht gespielt und nicht gehört werden.

Nun ist dies – leider – keine Diskussion um angekündigte Subventionsstreichungen oder bornierte Politiker, die aus Dummheit oder Herablassung willkürlich Museen schließen oder Theater zusammenlegen wollen (in Hamburg erinnert man sich noch gut auch an solche Ideen). Die aktuellen Maßnahmen, die unverzichtbar sind, weil sie Leben retten, werden von den betroffenen Institutionen mitgetragen. Und vielleicht sind gerade sie es, die für das Licht am Ende des Tunnels sorgen, wenn sie unbeirrt Programme für die nächste Saison konzipieren. Jetzt einen Spielplan zu verkünden, jetzt eine Konzertkarte für den Herbst zu kaufen, das kann naiv wirken, ist aber auch eine emotionale Botschaft. Realismus mag ja dem Pessimismus näher verwandt sein. Optimismus aber brauchen wir manchmal dringender.