Torsten Teichert war einer der Rebellen, die vor drei Jahren die Handelskammer eroberten. Hier zieht er Bilanz und blickt nach vorn.

Kein Zweifel, das war ein großer Wahlerfolg für Norbert Aust und Astrid Nissen-Schmidt in der Handelskammer. Glückwunsch! Die „starke Wirtschaft“ hat Wahlkampf von den Rebellen gelernt. Ähnlich wie diese vor drei Jahren hat das nun siegreiche Bündnis auch mit Blockwahlen ihre Kandidaten durchbekommen. Die Rebellen, zweigeteilt, haben klar verloren.

170.000 Kammermitglieder waren in neun Gruppen zur Wahl aufgerufen. Im schlechtesten Fall erhielt ein gewählter Kandidat nur 1,4 % aller Stimmen seiner Gruppe. Mit nur 242 Stimmen konnte man diesmal Plenarier werden. 2017 war es allerdings ähnlich.

Der „starken Wirtschaft“ gelang es, ihre Anhänger zu mobilisieren, während die Rebellen genau dies nicht schafften. Offenbar sind alle, die 2017 erstmals an der Wahl teilnahmen und gegen die rote Roben und Kammer-Selbstherrlichkeit votierten, diesmal nicht wieder zur Wahl gegangen. Vielleicht war die Enttäuschung zu groß, jedenfalls war der Wahlkampf der beiden Rebellen-Gruppen zu schwach und ohne klare Ziele. Sehr aussagekräftig ist das Programm der Sieger allerdings auch nicht. Und die Kammer ging leider mit Unregelmäßigkeiten im Wahlablauf (Vorwurf des angeblichen Wahlbetrugs gegenüber Die Kammer Sind Wir und Hackerangriff auf den Rechner) recht stümperhaft um.

Ist den Hamburger Unternehmern die Handelskammer egal?

Der Rückgang der Wahlbeteiligung von 17,6 Prozent im Jahr 2017 auf jetzt nur noch 11,1 Prozent ist betrüblich – und bezeichnend. Ist den Hamburger Unternehmern die Handelskammer womöglich viel mehr egal, als wir alle glauben? Warum sonst hätten sie sich diesmal nicht mit ihren Stimmen ins Zeug gelegt? Wie will die Handelskammer bei dieser Wahlbeteiligung eine „starke“ Stimme gegenüber einer Bürgerschaft sein, die immerhin von über 63,3 Prozent der Hamburgerinnen und Hamburger gewählt wurde?

Worum ging es denn bei dieser Wahl wirklich? Das siegreiche Bündnis sprach von „Misswirtschaft“ der Rebellen und davon, dass die Kammer an „Bedeutung verloren“ hätte. Also die ganz normalen Parolen einer jeden Opposition. Nach dem „Kassensturz“ wird auffallen, dass nichts „abgebrannt“ ist. Andererseits die internen Streitigkeiten der Rebellen. Eine traurige, ärgerliche Erfahrung. Aber in Wahrheit ist die Bilanz der Rebellen-Zeit besser, als viele glauben.

Rebellen sorgten für neue Wahlordnung

Mit hohem ehrenamtlichen Engagement sorgten die Rebellen (übrigens dann wieder geschlossen) für eine neue Wahlordnung, eine neue Satzung und transparente Geschäftsordnungen für die Gremien. Damit wurde der „Muff von tausend Jahren“ endgültig aus der Kammer gefegt. Jetzt gibt es konstruktive Misstrauensvoten gegen gewählte Repräsentanten – wie in den Parlamenten. Jetzt muss der früher allmächtige Hauptgeschäftsführer in jeder Legislaturperiode neu bestätigt werden. Und die Geschäftsführung der Kammer soll demokratisch abstimmen, als Team arbeiten, der Hauptgeschäftsführer kann überstimmt werden.

Damit hat das jetzige Plenum eine Steilvorlage für Aust und Nissen-Schmidt gelegt. Auch sie wollen die Geschäftsführung als Team. Die Rebellen haben es möglich gemacht. Leider haben wir uns vergeblich den Kopf zerbrochen, wie man vor dem Hintergrund des IHK-Gesetzes eine echte Doppelspitze implementieren könnte. Mal abwarten, ob dieses Wahlversprechen doch noch etwas hingebogen wird.

In Erinnerung ist noch, wie ein Präses der Handelskammer unter dem frenetischen Jubel der anwesenden Unternehmer den damaligen Bürgermeister Ole von Beust (CDU) in ungebührlicher Weise dafür abkanzelte, dass dieser im schwarz-grünen Senat die sechsjährige Primarstufe einführen wollte. Hätte Hamburgs Bildungswesen gutgetan. Diese Art der Klientelpolitik wird sich hoffentlich in der Kammer nicht mehr wiederholen.

Eigentliche Aufgabe der Kammer ist die „Gesamtinteressensvertretung“

Die Verkrustungen der Kammer wurden von den Rebellen aufgebrochen. Tobias Bergmann hat im Abendblatt-Interview eine zutreffende Analyse geliefert. Es gibt keinen Weg zurück in die Zeit vor 2017. Auch wenn das der VEEK vermutlich erhofft. Nissen-Schmidt und Aust stehen viel mehr auf dem von den Rebellen bereiteten Boden, als sie heute vielleicht zugeben mögen. Sie beide sind alles andere als „alte Kammer“. Und das ist gut so.

In den letzten Jahren haben die Rebellen dafür gesorgt, dass die Kammer daran erinnert wird, dass ihre eigentliche Aufgabe die „Gesamtinteressensvertretung“ ist. Keine Parteiparolen, sondern echte Arbeit für alle Mitglieder – wenn auch 89 Prozent von ihnen nicht gewählt haben. Womit wir beim kaum lösbaren Knoten des Problems wären. Denn was ist das eigentlich, das Gesamtinteresse?

Genau das herauszufinden, wird die Aufgabe der Handelskammer (und aller IHK’s) sein. Das kann nur im ständigen Dialog geschehen. Kanzelreden sind dafür vollkommen ungeeignet. Der Weg der Handelskammer in die Moderne einer längst bunten Gesellschaft hat erst begonnen. Die Rebellen haben ihren Teil dafür geleistet. Jetzt liegt der Ball bei der „starken Wirtschaft“. Dafür alles Gute! Und bitte keinen Rückfall in alte Zeiten.