Nach dem WG-Zimmer die eigene Wohnung und dann ein Haus – so wünschen es sich viele. Aber Glück geht auch anders ...

Wer das 40 Quadratmeter kleine Tiny House betritt, steht sofort im Wohnzimmer. Auf den nächsten sieben Metern folgt die Küche, dann das Bad. Der skandinavische Wohnstil gefällt mir auf Anhieb. Genauso wie die weißen Holzwände, der Ofen, die Panoramafenster mit Blick in die Natur. Ja, in diesem Haus würde ich definitiv Urlaub machen. Aber kann man darin leben?

Für das Abendblatt habe ich ein Paar besucht, das sich den Traum vom Tiny House am Mözener See erfüllt hat. Dafür haben die Bramstedter ihr 200 Quadratmeter großes Mietshaus aufgegeben und die meisten Möbel verkauft, an Freunde verschenkt oder gespendet. Nur der Esstisch, das Bett und ein Schrank sind aus ihrem alten Leben übrig geblieben. Woher kommt dieser Wunsch, sich zu verkleinern? Und worin besteht die Faszination der Tiny-House-Bewegung?

Tiny House: Der Trend kommt aus den USA

Ursprünglich kommen die Minihäuser aus den USA. Sie sind zwischen 15 und 45 Quadratmeter klein und kosten um die 100.000 Euro. Für gewöhnlich spielt sich das Leben in nur einem Raum ab – hier wird geschlafen, gegessen, geduscht. Schon Peter Lustig lebte jungen Menschen in Deutschland dieses Wohnmodell vor.

Der Hauptdarsteller aus „Löwenzahn“ führte in der Kinderfernsehsendung ein glückliches Leben in seinem markanten, blauen Bauwagen. Wie jedes Kind war ich fasziniert. Ich – die Glück hatte, in einem Haus im Grünen aufzuwachsen – wollte auch wie Peter Lustig wohnen. Einzigartig. Verrückt. Nicht so wie die anderen. Dann wurde ich älter. Und lernte, dass Erwachsene so ein Leben nicht für erstrebenswert halten. Sie wollen sich kontinuierlich vergrößern.

WG-Zimmer, eigene Wohnung, Haus

Mehr Quadratmeter, mehr Komfort, mehr Luxus. Die Marschroute ist klar vorgegeben: Nach dem WG-Zimmer kommt die eigene Wohnung, dann das Haus. Es ist doch ähnlich wie im Job: Die meisten knüpfen ihre Zufriedenheit an Materielles. Ganz ehrlich: Würden Sie Ihren Arbeitsplatz wechseln, wenn man Ihnen eine Stelle mit weniger Geld anbieten würde, Sie dafür aber glücklicher wären?

Würden Sie Ihre Stadtvilla aufgeben, um in ein Tiny House zu ziehen, wenn es ein schöneres Leben verspricht? Zu oft sind wir getrieben von Äußerlichkeiten. Und nicht davon, was uns wirklich glücklich macht.

Der Kleiderschrank quillt über, die Lebensmittel im vollen Kühlschrank vergammeln, das Handy ist niemals stumm. Das trifft nicht nur auf mich zu, sondern wahrscheinlich auf einen Großteil der Deutschen.

Aus dem Überfluss hat sich eine Gegenbewegung entwickelt

Wir haben so viel zu viel, dass sich aus unserem Überfluss eine Gegenbewegung entwickelt hat: die Rückkehr zum Nötigsten. Zu dem, was wir wirklich brauchen. Zum Minimalismus als Lebensphilosophie. „Wir besitzen so viele Dinge, und sie fangen an, uns zu beherrschen. Wir wollen uns wieder auf das Wesentliche konzentrieren“, sagen die Bramstedter.

Jede Woche klopfen Neugierige an ihrer Tür, wollen das Tiny House sehen. Inzwischen sind es so viele, dass das Paar ein Unternehmen gegründet hat, das die Minihäuser vertreibt. Vermutlich ein lukratives Geschäftsmodell. Immer mehr Menschen verbringen Urlaube auf kleinem Raum. In Bullis. In Zelten. Oder auf Hausbooten. Bis jetzt bin ich noch nicht mit dem Camper die amerikanische Westküste abgefahren – aber ich träume schon lange davon.

Tiny House hat einen Haken

Könnte ein Tiny House meiner Generation sogar den Traum vom Eigenheim erfüllen? Wir Millennials werden für Praktika schlecht oder gar nicht bezahlt, mit Ende 20 stecken wir immer noch in befristeten Verträgen. Ein eigenes Haus zu bauen ist für uns in weite Ferne gerückt. Doch ein Tiny House mit weniger Quadratmetern kostet auch weniger Geld.

Allerdings: Zum einen ist es nicht familientauglich. Und zum anderen ist es in Deutschland hoch kompliziert, eine Baugenehmigung zu bekommen. Massentauglich sind Tiny Houses hierzulande noch lange nicht.

Im vergangenen Herbst habe ich in Potsdam den Filmpark Babelsberg besucht. Dort steht der Originalbauwagen von Peter Lustig. Zwar möchte ich darin nicht mehr wohnen, aber er hat mich – genau wie das Tiny House der Bramstedter – an etwas erinnert: nämlich daran, dass nicht die Größe der Räume entscheidend ist, sondern, mit wie viel Liebe sie gefüllt sind.