Hamburg. Der AfD-Gründer hat Fehler gemacht, aber er ist ein Demokrat. Warum sollte er also nicht als VWL-Professor arbeiten?

Bernd Lucke ist eine tragische, eine sehr deutsche Figur. Seine politische Bilanz ist ein einziges Desaster. Die von ihm mitgegründete ursprünglich eurokritische AfD ist als Rechtsaußenpartei längst bedrohlich stark geworden. Diese Stärke der AfD ist auch auf sein Wirken zurückzuführen. Dass Lucke der Partei 2015 wegen ihres Rechtsrucks den Rücken gekehrt hat, war konsequent.

Und wenn er heute sagt, dass er die Partei nicht noch einmal gründen würde und sie unwählbar geworden sei, dann macht das deutlich, dass er erkennt, welch fatalen Fehler er gemacht hat. Lucke, der Zauberlehrling: Die er rief, die Geister, ward er nicht mehr los. Sondern sie ihn.

Bernd Lucke: Protest der Studenten ist legitim

Dass seine Rückkehr an die Hamburger Universität auf massive Kritik stoßen würde, ist kaum überraschend. Dass Studenten gegen ihn demonstrieren, ist legitim. Dass sie seinen Rauswurf fordern, ist dennoch falsch. Und dass einige ihn niedergebrüllt und die Vorlesung so verhindert haben, ist ein furchtbares Signal.

Ja, der Mann hat politisch Mist gebaut. Das ist nicht verboten. Er mag ein politisch Konservativer sein, für manche ein Rechts-Konservativer, aber auch das ist nicht verboten – die einzigen Währungen, die in diesem Zusammenhang zählen, sind das Grundgesetz und das Strafgesetzbuch. Und in beiden steht nichts, wogegen Lucke verstoßen hat.

Mit Berufsverboten nie gute Erfahrungen gemacht

Wer fordert, dass er von der Universität verbannt wird, will ein Berufsverbot – und damit haben wir in diesem Land wahrlich noch nie gute Erfahrungen gemacht. Auch die Sozialdemokraten, die in den 70er-Jahren für den Radikalenerlass verantwortlich waren, haben später eingeräumt, dass es ein Fehler war – und man keinen Lokführer hätte feuern müssen, nur weil er DKP-Mitglied war.

Zumal (im Gegensatz zur DKP) bei Lucke kein ernsthafter Zweifel daran besteht, dass seine Überzeugungen fest auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung fußen. An ihnen ist nichts Extremistisches.

In VWL kann man gar nicht anders, als auch Meinungen zu vertreten

Auch das Argument, es bestünden Zweifel an der Neutralität seiner Lehre, läuft ins Leere. Als publizierender Professor in einer nicht exakten Wissenschaft, die die Volkswirtschaftslehre zweifellos ist, kann man gar nicht anders, als (auch) Meinungen zu vertreten. Das gilt für jeden, der sich auf diesem Spielfeld tummelt – für Marktradikale und Neoliberale genauso wie für Keynesianer, die dem Staat und der Nachfrage eine viel größere Rolle zubilligen.

Entscheidend für Luckes Rolle als Professor ist nicht seine persönliche Überzeugung, sondern die Art und Weise, wie er sein Fach lehrt und die Arbeiten seiner Studenten bewertet. Und bisher ist nicht bekannt geworden, dass er in diesem Sinne unseriös gewirkt hätte.

Professor Lucke sollte man seinen Job machen lassen

Ganz gleich, welcher politischen Richtung man auch zuneigen mag: Wer verlangt, dass Lucke nicht mehr an deutschen Universitäten lehren darf, der handelt zutiefst undemokratisch. Wem abweichende Meinungen unerträglich geworden sind, der betreibt die Spaltung dieser Gesellschaft. Und spielt den wirklich Rechten in die Hände, deren Mantra lautet, dass in Deutschland alles mit der Moralkeule erschlagen werde, was vom „Gutmenschen-Kodex“ abweiche.

„Demokratisch ist es, dem anderen zuzuhören, seine Meinung zu erwägen, das, was einem einleuchtet, zu akzeptieren und gegen das übrige, unter ständiger Wahrung des Respektes vor der Person des anderen, seine Gegenargumente hervorzubringen“, hat der frühere Bundespräsident Walter Scheel mal gesagt. Ein Satz zeitloser Gültigkeit.

Bernd Lucke ist ein politisch Gescheiterter. Sein Ehrgeiz und sein Sendungsbewusstsein haben eine fatale Entwicklung befördert. Dafür darf man den Politiker verfluchen – den Professor sollte man seinen Job machen lassen.