Hamburg. 300 Demonstranten verhinderten Luckes erste Vorlesung in Hamburg nach seiner Rückkehr. Die Polizei musste den Professor schützen.

Er hat kaum den Saal betreten, als ein Pfeifkonzert anhebt. „Hau ab, Hau ab“, schallt es ihm entgegen. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Fast alle Sitzplätze im Hörsaal B unter der Kuppel des Hauptgebäudes der Universität Hamburg sind besetzt, auch in den Gängen dazwischen bis hin zu den Eingängen drängen sich überwiegend junge Menschen. Bernd Lucke (57), Mitgründer der AfD, Professor für Volkswirtschaftslehre, verzieht keine Miene, streift sich ein Mikrofon über, fährt seinen Computer hoch. Sein Blick schweift in die Menge.

Von den oberen Rängen und den Gängen aus brüllen ihn schätzungsweise 300 Demonstranten an. In den ersten acht bis zehn Reihen sitzen etwa 120 Leute, die zunächst schweigen, wahrscheinlich überwiegend Studierende, die wohl eigentlich hier sind, um Luckes erste Vorlesung im Wintersemester zum Thema „Makroökonomik II“ zu hören.

Genau feststellen lässt es sich nicht an diesem Mittwochmittag, wer hier im Raum nur zum Studieren gekommen ist, wer gegen Luckes Rückkehr an die Hochschule ist, ob viele der Demonstranten bestimmten Gruppen zuzuordnen sind. Keiner, der hier ruft oder pfeift, stellt sich vor.

Zu Protest gegen Bernd Lucke aufgerufen

Der AStA der Uni hatte unter dem Motto „Lucke lahmlegen“ zu einer Protestkundgebung aufgerufen, an der am Mittwochvormittag vor der geplanten Vorlesung zeitweise etwa 200 Menschen teilnehmen. Zu den Störaktionen im Hörsaal allerdings habe der AStA weder aufgerufen, noch habe er diese Aktionen organisiert. „Uns hat das überrascht“, wird der Studierendenausschuss später auf Anfrage mitteilen.

Wenn Lucke überrascht ist, zeigt er es nicht. Stoisch steht er hinter seinem Rednerpult, während einige Demonstranten den Tisch neben Lucke erklimmen und ein Transparent enthüllen. „Lucke hat den Schneeball geworfen, der die rechte Lawine ins Rollen gebracht hat“, steht darauf.

Lucke will dazwischen; Protestierende versuchen, ihn zurückzudrängen, ein junger Mann zeigt eine drohende Körperhaltung, rempelt Lucke an. „Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda“, schallt es durch den Raum. „Ganz Hamburg hasst die AfD.“ Eine weitere Gruppe umringt Lucke, hält schwarze Banner mit der Aufschrift „Antifaschistische Aktion hoch“, sodass Lucke von den Rängen aus kaum noch zu sehen ist.

Lucke hatte sich zuletzt von der AfD distanziert. „Wenn ich gewusst hätte, was aus der AfD wird, würde ich sie nicht noch einmal gründen“, sagte er. „Eine islam- und fremdenfeindliche Partei halte ich für unwählbar.“ Er hatte die AfD 2015 verlassen und die Partei der Liberal-Konservativen Reformer gegründet.

Lucke setzt sich zwischen Studenten

In der Vorlesung sind 20 Minuten vergangen, es ist nicht leiser geworden. Lucke klappt sein Laptop zusammen und verlässt das Podium. Unter den Demonstranten brandet Jubel auf – der sofort abbricht und zu einem Pfeifkonzert wird, als Lucke sich in die vierte Reihe zwischen die etwa 120 jungen Leute setzt, die nichts skandieren, von denen einige die Protestierenden fotografieren.

„Im übrigen schreiben mir meine Studenten in den letzten Tagen E-Mails, um mir den Rücken zu stärken“, hatte Lucke am Dienstag in einer E-Mail an das Abendblatt mitgeteilt. Man möge „berücksichtigen, dass der AStA offenbar nicht die Fachstudenten repräsentiert“. Eine Woche zuvor hatte er geschrieben: „Außer vom AStA erlebe ich an der Uni überhaupt keinen Gegenwind.“

Lucke verharrt an seinem neuen Platz, spricht mit Studierenden neben ihm, während es um ihn herum mehrfach zu Handgreiflichkeiten zwischen Protestierenden und anderen Menschen kommt, die in Prügeleien auszuarten drohen. Hinter dem Hörsaal soll die Polizei bereit stehen, ist zu hören. Sie hat Verstärkung angefordert, ist nun mit einer Hundertschaft vor Ort.

Eine Vertreterin der Initiative „Omas gegen Rechts“ nimmt sich ein Megafon, wendet sich an Lucke. Er habe sich mitschuldig gemacht am Aufstieg der AfD, ruft die Frau. „Sie haben die Büchse der Pandora geöffnet.“ Kurz darauf steigt ein junger Mann im Karohemd aus der Gruppe um Lucke auf den Tisch neben dem Rednerpult und erklärt, er sei nicht für die AfD. „Wir kämpfen doch alle für Freiheit und Menschenrechte“, ruft er – und wird niedergebrüllt. Kopfschüttelnd nimmt er unweit von Lucke wieder Platz.

Linken-Abgeordneter Dolzer vermittelt

Fünf Minuten vor dem offiziellen Ende der geplanten Vorlesung geht Lucke auf das Podium, setzt sein Mikrofon auf und gibt eine Erklärung ab, die allerdings in einem weiteren Pfeifkonzert untergeht.

Der Linken-Abgeordnete Martin Dolzer, der auf der Kundgebung vor der geplanten Vorlesung gesprochen hatte, spricht mit Demonstranten, spricht mit Lucke. Er habe vermitteln wollen, wird Dolzer später sagen. Man könne Lucke selbstverständlich nicht die Lehrtätigkeit verbieten; es sei aber das Recht von Studierenden, ihren Unmut über Luckes Rückkehr an die Uni kund zu tun.

Lucke verlässt den Hörsaal. Polizisten holen ihn an einem Seiteneingang ab und geleiten ihn zur Straße. Der Einsatzleiter Michael Allers sagt, Luckes körperliche Unversehrtheit sei nicht in Gefahr gewesen, es habe aber zeitweise „Entwicklungen“ gegeben, die fast ein Einschreiten nötig gemacht hätten. Die Hamburger AfD-Fraktion teilt danach mit, der Vorfall sei „unwürdig für den Wissenschaftsstandort Hamburg“.

AStA will Austausch mit Lucke

Am Nachmittag verschicken Uni-Präsident Dieter Lenzen und Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) eine gemeinsame Erklärung. Sie betonen, jeder Hochschullehrer habe einen vom Grundgesetz garantierten Anspruch auf freie Lehre. Unabhängig davon sei „festzustellen, dass Universitäten als Orte der Wissenschaft die diskursive Auseinandersetzung auch über kontroverse gesellschaftliche Sachverhalte und Positionen führen und aushalten müssen – insbesondere vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte.“

Der AStA teilt mit, Lucke stelle sich nicht seiner Verantwortung. „Als Gründer der AfD hat er die Geister gerufen, mit denen er jetzt nichts mehr zu tun haben will.“ Gleichwohl werde man mit Lucke sprechen, erklärt der AStA-Vorsitzende Karim Kuropka. Dieser „Austausch“ soll am Donnerstag stattfinden.