Seien die Angeklagten auch noch so alt: Es geht ums Recht.
Unter all den entsetzlichen Dingen, die sich Menschen jemals angetan haben, markiert der Holocaust – wörtlich „Brandopfer“ – einen grausamen Tiefpunkt der Zivilisationsgeschichte. Nicht nur durch die unvorstellbare Zahl von sechs Millionen Ermordeten, sondern auch durch die unmenschliche Kälte, mit der das NS-Regime Europa mit einer fabrikartigen Logistik des Todes überzog. Die Namen der vielen NS-Vernichtungs- und Konzentrationslager stehen für unfassbares Grauen.
Die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland legt fest, dass Mord, ebenso wie die Beihilfe dazu, nicht verjähren darf; für millionenfachen Mord gilt dies natürlich umso mehr. In der Frühzeit der Bundesrepublik ist bezüglich der Aburteilung von NS-Verbrechern viel versäumt worden. Jene, die in den vergangenen Jahren und heute noch vor Gericht gestellt werden, waren oft vergleichsweise kleinere Rädchen in dem Getriebe der Mordmaschinerie.
Aber auch sie müssen selbstverständlich zur Verantwortung gezogen werden. Denn ohne die Helfer, Mitläufer und Befehlsempfänger hätte das systematische Quälen und Morden damals nicht funktioniert. Heute stellen das naturgemäß hohe Alter der Täter – sofern sie überhaupt noch leben – und ihre Gebrechlichkeit ein Hindernis dar.
Aber es geht auch nicht um gnadenlose Rache, es geht um Recht und die Aufarbeitung von entsetzlichem Unrecht. Und es geht um die unmissverständliche Botschaft an die Menschen im In- und Ausland, dass Deutschland auch ein Dreivierteljahrhundert nach dem Ende der Nazidiktatur noch willens ist, NS-Verbrecher vor Gericht zu stellen. Eine langjährige Haftstrafe für einen über 90-Jährigen mag dabei eher symbolischen Charakter haben. Aber
es ist ein wichtiges, unverzichtbares Symbol.