Hamburg. Die Clubchefs stellen sich hinter Trainer Hannes Wolf. Sie versäumten es aber, ihm Hilfe zur Seite zu stellen.
Volkes Stimme hat gesprochen: Hannes Wolf raus! So war es direkt nach der blamablen 0:3-Niederlage des HSV gegen Ingolstadt zigfach bei Facebook, Twitter oder, ganz konservativ, in zahlreichen Leserbriefen zu lesen. Kontinuität schön und gut – aber bitte ohne diesen Trainer.
Nun, wenige Stunden später stand fest: Wolf bleibt! Die HSV-Verantwortlichen machten das, was HSV-Verantwortliche in der Vergangenheit sonst nie gemacht haben: Sie ließen Volkes Stimme ausnahmsweise mal Volkes Stimme sein. Kein Trainerwechsel, kein Bauernopfer und diesmal noch nicht einmal ein Trainingslager der letzten Hoffnung in Rotenburg, Malente oder Klosterpforte.
HSV-Einzelkritik: Unterirdisch, schmerzhaft und grausam!
Ob diese überraschende Entscheidung auch die richtige Entscheidung gewesen ist, wird man wahrscheinlich schon am kommenden Sonntag überprüfen können. Denn obwohl sich der HSV seit Wochen (manche sagen: seit Jahren) von Enttäuschung zu Enttäuschung hangelt, gehört es wohl zu den Eigenheiten des Fußballs, dass der Club mit einem Sieg in Paderborn noch immer alle Chancen im Aufstiegskampf hätte. Verliert der HSV aber beim direkten Konkurrenten, wäre das Schneckenrennen um Platz zwei und drei für die Hamburger schon vor dem letzten Spieltag gelaufen.
HSV braucht einen Psychologen
Unabhängig vom Ausgang der letzten beiden Spiele in Paderborn und gegen Duisburg wären die Verantwortlichen des HSV aber gut beraten, wenn sie nach der Saison diese noch einmal kritisch analysieren – und dabei sehr wohl noch einmal intensiv über einen Trainer nachdenken würden. Möglicherweise über Cheftrainer Hannes Wolf. Aber ganz sicher über einen Mentaltrainer.
So gehört es ebenso zu den Eigenarten des Fußballs, dass Woche für Woche über Drucksituationen, Angst und Mentalität pseudophilosophiert wird, man aber gleichzeitig die Psychologie des Spiels komplett vernachlässigt. Wie wichtig (oder besser: unwichtig) die Verantwortlichen die Komponente Kopf nehmen, kann man auch an der Antwort eines HSV-Entscheiders auf die Frage nach einem Sportpsychologen sehen. Er stehe dem schon offen gegenüber, so der Gefragte. Genauso wie einem Ernährungsberater oder einer Yogafrau.
Tatsächlich gibt es kaum eine andere Sportart, in der Mentaltraining derart stiefmütterlich behandelt wird wie im Fußball. Dabei wiederholen Experten seit Jahren gebetsmühlenartig, dass im Spitzensport doch immer mehr über den Kopf entschieden werde.
Darmstadt-Spiel war der Knackpunkt
Wer noch einen Beweis für diese These braucht, der kann sich gerne in dieser Saison beim HSV bedienen. Tatsächlich ist man sich längst einig, dass das bittere 2:3 nach 2:0-Führung gegen Darmstadt vor sieben Wochen bei der jungen Mannschaft für einen psychologischen Knacks gesorgt hat. Es folgten weitere Enttäuschungen gegen Bochum, Magdeburg, Aue, Union und nun Ingolstadt. Und nach fast jeder Enttäuschung lautete immer ein Erklärungsansatz: Es sei doch eine extrem junge Mannschaft.
Die Erklärung ist nicht verkehrt, der Lösungsansatz dagegen umso mehr. Denn Trainer Hannes Wolf, mit 38 Jahren eben selbst noch ein junger Trainer, mit dieser Problemstellung alleinzulassen, ist fast schon fahrlässig.
Wer trotz allem noch immer glaubt, dass dies nur eine Elfenbeinturmmeinung sei, der sollte beim gerade zurückgetretenen Ex-HSV-Torhüter René Adler nachfragen. Der sagte kürzlich in einem Interview, es sei komisch, dass Mentaltraining im Fußball noch immer ein Tabuthema sei. Im Hochleistungssport werde doch mindestens 80 Prozent im Kopf entschieden. Eine Meinung, die sich vielleicht auch mal die führenden HSV-Köpfe zu Herzen nehmen sollten.