Man kann auch zu hoch gewinnen. Wer daran zweifelte, wurde im Drama um die Handelskammer Hamburg eines Besseren belehrt. Anfang 2017 gewann die Gruppe „Die Kammer sind WIR!“ 55 der 58 Sitze. Der Sieg hatte viele Väter: eine weit verbreitete Unzufriedenheit mit dem Byzantinismus der alten Kammer, ein clever inszeniertes revolutionsfolkloristisches Rebellentum, populistische Wahlversprechen und effiziente Mobilisierung.

Doch der Sieg trug den Keim der Niederlage in sich: Es waren zu viele, zu widerstrebende Interessen gewählt worden – und ohne die alte Kammerelite fehlte den Rebellen auf einen Schlag der gemeinsame, einende Gegner. In der Trutzburg der Kaufmannschaft wurden keine Fenster aufgestoßen, sie wurden kurzerhand eingeworfen.

Von den wohlklingenden Versprechen ist wenig geblieben. Die Kammerbeiträge gibt es weiterhin, sie wurden nur umverteilt. Das Hauptamt wurde zusammengestrichen, aber um welchen Preis? Teure Abfindungen und Rechtsstreitigkeiten haben die Kammer weder billiger noch besser gemacht. Die Beschäftigten sind verunsichert, gelähmt, desillusioniert.

Und so manche gute Idee, die der ehemalige Präses Tobias Bergmann entwickelt hatte, ging im Schlachtenlärm und den Schützengräben der Kammer unter. Bergmann zog die Konsequenzen und warf im Dezember hin. Spätestens in diesem Moment standen die Kammerrebellen am Abgrund. Heute sind sie einen Schritt weiter.

Trotz ihrer Mehrheit konnten sich die Rebellen nicht auf einen neuen Präses einigen, die Wahl scheiterte, weil weder der Hafenunternehmer Johann Killinger noch der Finanzberater Torsten Teichert die nötige Mehrheit fand. Beide hatten in dieser schwierigen Lage eine Kandidatur gewagt, beide haben verloren. Das Ergebnis offenbart, wie zerstritten die Kammerrebellen inzwischen sind. Sie haben die Kammer sturmreif geschossen, manche aus Versehen, andere wohl mit Kalkül. Die Institution von 1665 hat schweren Schaden genommen – und mit ihr die Wirtschaft der Stadt.

Wer immer sich bei einer baldigen Neuwahl zur Verfügung stellt, auch er wird wohl ohne Chance bleiben. Derzeit ist weder absehbar, wie ein Kandidat angesichts der Spaltung eine Mehrheit bekommen soll, noch, wie die nötigen Strukturreformen überhaupt noch umgesetzt werden können. Die Kammerrebellen, die großen Sieger von 2017, sind kolossal gescheitert.

Wirtschaft fehlt schlagkräftige Lobby

Das Vertrauen der Wirtschaft außerhalb der Handelskammer ist längst dahin. Viele Unternehmen hatten das Treiben der Rebellen anfänglich mit Wohlwollen beobachtet, bevor sie unter dem erbärmlichen Bild der Interessenvertretung selbst zu leiden begannen. Der Wirtschaft fehlt nun eine schlagkräftige Lobby, weil sich die Kammer als erster Ansprechpartner der Politik selbst aus dem Spiel genommen hat. Die Opposition der Unternehmer, die außerparlamentarisch seit zwei Jahren gegen die Rebellen arbeitet, hatte die Wahl zwischen Teichert und Johann Killinger als eine zwischen „Pest und Cholera“ bezeichnet – und ihrerseits mit ihren wenigen Stimmen das Chaos mit heraufbeschworen. Die acht Enthaltungen zeigen, dass manche inzwischen den Untergang der Rebellen über alles setzen. Sie haben längst in den Wahlkampfmodus für die Kammerwahlen 2020 geschaltet.

Blickt man auf das ehrwürdige Gebäude am Adolphsplatz, wähnt man sich in dem Kammerspiel von Jean-Paul Sartre. Wie heißt es in der „Geschlossenen Gesellschaft“? „Die Hölle, das sind die anderen.“