Die Erinnerung, so wusste schon der deutsche Dichter Jean Paul, ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können. Wir neigen beim Erinnern dazu, das Vergangene zu verklären und die Welt von früher in einem hellen wie weichen Licht zu zeichnen, einfach deshalb, weil wir damals jung waren. Einer echten Recherche halten viele Erinnerungen nicht stand. Aber eine Sache war früher zweifellos besser: Damals gab es noch hitzefrei!

    Erfunden hatten den geschenkten Sonnentag ausgerechnet die pflicht­bewussten Preußen: Am 16. Juni 1892 erging in Berlin der Ministerialerlass, der Schüler (und Lehrer) mehr als ein Jahrhundert lang begeisterte. Ein beweglicher Feiertag mit Schönwettergarantie! So selten wie schön.

    Ein Mai wie dieser wäre damals ganz nach unserem Geschmack gewesen. In den 80er-Jahren musste der Hausmeister um 10 Uhr die Temperatur im Schatten messen: Lag sie bei mehr als 25 Grad, war die Schule auf einen Hitzeschlag vorbei, und wir bekamen kollektive Hitzewallung. Binnen Sekunden rafften wir unsere Sachen zusammen, liefen aus der Schule, sprangen auf unsere Räder, holten unsere Badesachen und fuhren zum Baggersee oder ins Schwimmbad. Die große Hitzefreiheit!

    Der verlässliche Ganztag war noch nicht erfunden, die Schule kein Hort, und Eltern wären nicht einmal auf die Idee gekommen, die Lehrer wegen Verletzung der Aufsichtspflicht zu belangen. Heute ist das Zauberwort „hitzefrei“ ein verblassender Mythos – ein bald vergessener Sieg des Sommers über die Pflicht, ein verflogener Triumph wider die Arbeitsmoral, ein versiegtes Füllhorn von Sonnenstunden der Freiheit.

    Schule hat sich eben verändert. Heute feiern wir den Fortschritt. Früher feierten wir die Freiheit.