Hilfsmittel werden viel zu selten genutzt. Es mutet grotesk an, dass auch die Autonation Deutschland hinterherhinkt.
Es gibt Unglücke, danach ist nichts mehr wie zuvor. Am 27. August 1991 überrollt ein Lkw-Fahrer auf der Stresemannstraße die neunjährige Nicola S., die Radlerin stirbt noch am Unfallort. Mit Sitzblockaden und Demonstrationen beginnen sich die Anwohner zu wehren, eine Stunde nach dem Unfall legen sie erstmals den Verkehr lahm, dann immer wieder um 16 Uhr – zum Zeitpunkt des Todes. Der Protest weitet sich auf andere Stadtteile aus, „überall ist Stresemannstraße“. Die kleine Nicola war nicht das erste Opfer auf der Hauptverkehrsstraße, aber ihr Tod wurde zum Symbol. Und der SPD-Senat reagierte: Die Straße wird umgebaut, Tempo 30 Pflicht.
Seit dem vergangenen Montag, als ein Lkw die 33-jährige Saskia S. auf der Osterstraße überrollte, sind die Menschen wieder in Aufruhr. Der tragische Tod der Mutter wird zum Symbol. Gestern gedachten Hunderte mit einer stillen Demonstration der 33-Jährigen. Es ist nicht die erste Protestaktion, und es wird nicht die letzte sein. Insgesamt zählt die Unfallforschung der Versicherer jedes Jahr rund 3200 Kollisionen zwischen Lkw und Fahrradfahrern – 70 Radler überleben die Kollision nicht.
Fahrradfahrer legen sich in Eimsbüttel auf die Todeskreuzung
Dieser Blutzoll auf deutschen Straßen ist kein gottgegebenes Schicksal, das man erdulden muss, sondern Politikversagen. Technisch könnten elektronische Abbiegeassistenten mehr als 40 Prozent dieser Unfälle verhindern. Sie warnen die Fahrer mit optischen oder akustischen Signalen und helfen ihnen so, schneller zu reagieren.
Was Freiburg Hamburg voraus hat
Aber diese Hilfsmittel werden viel zu selten genutzt. Zwar bieten sowohl Autohersteller wie Daimler als auch Tüftler und Technikfirmen Kameras oder Sensoren an, aber meist scheitert ihr Einbau an den Kosten von mehreren Hundert Euro. Denn sie sind freiwillig. So gehen innovative Städte voran – Osnabrück, Freiburg oder St. Peter-Ording haben Spiegel oder Warnleuchten an Ampeln angebracht.
Zwar hat sich die Europäische Union schon vor einem Jahrzehnt das ehrgeizige Ziel gesetzt, die Zahl der Verkehrstoten bis 2020 zu halbieren. Aber dieses Ziel wird Europa nimmer mehr erreichen. Brüssel veranstaltet Symposien und diskutiert Vorschläge, eine Mehrheit für technische Assistenzlösungen kam noch nicht zustande. Viele Staaten schützen lieber ihre Spediteure – zulasten von Fußgängern, Radlern und auf Kosten der Zukunft.
Israel ist längst weiter. Die Hightech-Nation hat mit steuerlichen Anreizen frühzeitig elektronische Assistenzsysteme etabliert; die Zahl der Unfälle sank, und das Jerusalemer Unternehmen Mobileye ist heute Weltmarktführer. Europa hingegen verlässt sich auf sechs Spiegel an jedem Lkw.
Liegt Sicherheit der Radler im toten Winkel?
Es mutet grotesk an, dass auch die Autonation Deutschland hinterherhinkt. Die Innovationen kommen zumeist aus anderen Ländern, und die Politik verkämpft sich auf anderen Feldern. In diesen Tagen lässt der rot-grüne Senat Verbotsschilder für schmutzige Diesel montieren. Als Begründung wird gern auf eine Berechnung des Umweltbundesamts verwiesen, wonach angeblich 6000 Menschen vorzeitig durch die Stickoxidbelastung sterben. Da ist viel virtuelle Mathematik erhalten, Wissenschaftler kritisierten die Studie als „unseriös“. Die toten Radler sind leider längst real.
Selbst der grüne Umweltsenator Jens Kerstan, der laut gegen den bösen Diesel streitet oder sich stolz auf dem Lastenrad ablichten lässt, bleibt in Sachen Verkehrssicherheit seltsam still. Oder liegt die Sicherheit der Radler auch in seinem toten Winkel?