Warum der kleine Koalitionspartner im Hamburger Rathaus vom Wechsel des Bürgermeisters profitiert.

Geschichte wiederholt sich nicht, aber manchmal reimt sie sich. Als 2010 Bürgermeister Ole von Beust (CDU) in der Mitte der Legislaturperiode überraschend seinen Rücktritt als Bürgermeister verkündete, war dies der Anfang vom Ende von Schwarz-Grün. Das Bündnis, das anfänglich mit dem Rückenwind einer großen Begeisterung segelte, kam unter dem neuen Bürgermeister Christoph Ahlhaus in schwere See und scheiterte bald.

Nun hat – wieder zur Mitte der Legislatur – der Bürgermeister gewechselt. Der Aufstieg von Olaf Scholz ins Bundesfinanzministerium kam zwar nicht überraschend, aber die verschlungene Nachfolgelösung war es doch. Nicht nur der grüne Koalitionspartner hatte sich eigentlich auf SPD-Fraktionschef Andreas Dressel eingestellt und gefreut, sondern auch die eigenen Leute. Finanzsenator Peter Tschentscher hatte kaum jemand auf der Rechnung.

Koalition unter Olaf Scholz war immer Vernunftehe

Es ist kein Zufall, dass die Grünen nun deutlich und lauter als in der Vergangenheit ihre eigenen Schwerpunkte setzen. Das rot-grüne Bündnis unter Olaf Scholz war nie eine Liebesheirat, sondern eine Vernunftehe. Bürgermeister Scholz organisierte die Koalition professionell, aber mit sozialdemokratischer Handschrift. Wer Koch und wer Kellner war, blieb niemandem verborgen. Scholz hatte schon vor der Einigung auf die Koalition betont, es gebe keinen Umbau der Senatspolitik, sondern nur einen „grünen Anbau“.

Nun werden, wie die grüne Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank sagt, die Karten neu gemischt – und die Tektonik des Bündnisses verschiebt sich. Die Grünen haben ihre Schwächephase überwunden und in ihren Ressorts, vor allem in der Wissenschaft, punkten können. Die SPD hingegen wird derzeit durchgeschüttelt. Es ist nicht nur die holprige Nachfolge im Bürgermeisteramt und der belastende Streit um die Große Koalition, sondern auch die jüngste Wahlumfrage: Demnach ist die SPD auf 28 Prozent abgestürzt und hat ihren Vorsprung auf die Union von 30 auf sechs Prozent gefünftelt. So verunsichert wie jetzt waren die Hamburger Sozialdemokraten lange nicht mehr. Das wird auch Konsequenzen für die Zusammenarbeit mit den Grünen haben.

Tschentscher muss Distanz wahren

Inhaltlich ist der designierte Bürgermeister nicht weit von den Grünen entfernt. Peter Tschentscher betont fast wortgleich mit dem Koalitionspartner seine zentralen Ziele so: mehr bezahlbarer Wohnraum, ein Ausbau der Wissenschaft und des öffentlichen Nahverkehrs. Und trotzdem muss Tschentscher Distanz wahren. Der langjährige Finanzpolitiker, der seine grünen Senatskollegen bis zuletzt siezte, kennt das Erfolgsgeheimnis der Partei: Die SPD war dann erfolgreich, wenn sie im Bürgertum gewählt wurde und sich rechts von der Bundes-SPD positionierte. Das hat der frühere Stamokap-Vertreter Scholz verinnerlicht, das wird auch der vermeintliche Parteilinke Tschentscher nicht anders machen dürfen.

Für die Grünen ergibt sich daraus mehr Beinfreiheit. Sie haben bei der kommenden Bürgerschaftswahl prächtige Perspektiven. Die SPD hingegen wird sich in ihrem eigenen Interesse deutlicher von den Grünen absetzen müssen, um das Signal zu setzen: Auch unter Tschentscher bleibt sie Hamburg-Partei. Vermutlich ist er für diese Aufgabe der beste Mann, den die SPD hat. Das neue Selbstvertrauen hier, die Profilierungsaufgabe dort erhöhen indes das Konfliktpotenzial im Senat in den verbleibenden zwei Jahren. Er mag dieselben Farben tragen – und doch sieht Rot-Grün bald anders aus.