Leonhard und Dressel setzen ein starkes Signal. Was moderne Politiker auszeichnet – und was wünschenswert ist.

Politikern wird oft und schnell vorgeworfen, versessen nach Macht zu sein, und alles dafür zu tun, ein Amt zu bekommen. Zwei jüngere Hamburger Politiker haben dieses Vorurteil jetzt widerlegt. Melanie Leonhard und An­dreas Dressel hätten die Möglichkeit gehabt, Erster Bürgermeister zu werden. Sie hätten es nur wirklich wollen müssen. Doch genau das wollten sie nicht. Die Geschichte der Suche nach einem Nachfolger für Olaf Scholz, der als Bundesfinanzminister und Vize-Kanzler nach Berlin geht, ist wegen des Neins von Leonhard, aktuell Sozialsenatorin, und Dressel, künftig Finanzsenator, in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Ganz bewusst haben sich eine Frau und ein Mann gegen den nächsten, den großen Schritt in ihrer politischen Karriere entschieden – und für die Familie.

Beide haben junge Kinder, um die sie sich kümmern wollen. Das ist schon als Senatorin oder Senator schwer genug, als Bürgermeisterin oder Bürgermeister wäre es wohl unmöglich gewesen. Und deshalb verzichteten die junge Mutter und der junge Vater, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Dazu gehört mit Sicherheit genauso viel Mut wie dazu, die Nachfolge von Olaf Scholz anzutreten.

Unsere Politiker: Keine oder erwachsene Kinder?

Das Nein zur Macht ist ein starkes Signal, eines, das weit über Hamburg diskutiert werden sollte. Denn es stellt sich natürlich die Frage, ob sich kleine Kinder und große Politik überhaupt miteinander vereinbaren lassen. Oder ob wir, die Wähler, uns daran gewöhnen müssen, dass die, die uns regieren, entweder keine oder erwachsene Kinder haben.

Denn die Belastung eines Amtes in der Kategorie Erster Bürgermeister hat ja nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine physische Komponente. Wer Hamburg regiert, darf nicht damit rechnen, allzu viel Lob oder Dank zu erhalten, sondern sich daran gewöhnen müssen, dass er an vielem Schuld ist, dass er kritisiert, dass viel über ihn gesprochen und geschrieben wird. Dass ist schon für den Betroffenen nicht leicht zu ertragen. Für Familienmitglieder kann das Amt dagegen schnell zur unerträglichen Belastung werden, gerade für Kinder.

Der Bürgermeister muss Härte zeigen – auch im Nehmen

Wenn es um den neuen Ersten Bürgermeister geht, wird nicht von ungefähr eine Eigenschaft genannt, die dem Laien jetzt nicht sofort zu einer Stellenbeschreibung einfallen würde: Härte. Ja, der Bürgermeister muss hart im Nehmen sein. Sonst kann er den Job nicht lange machen. Das ist eine im wahrsten Sinne des Wortes harte Feststellung, und sollte uns, den Wählern, aber vielleicht auch Journalisten, zu denken geben. Wenn wir hohe politische Ämter für möglichst verschiedene Politikertypen, auch solche mit kleinen Kindern, offen und interessant halten wollen, dann müssen wir mit den Politikern so fair und sorgsam wie möglich umgehen. Weil sich sonst irgendwann niemand mehr findet.

Paradox: Als Top-Politiker irgendwie einsam

Denn, seien wir ehrlich: So attraktiv, wie viele im Volk immer tun, sind Politikerjobs nicht. Die Bezahlung ist in Ordnung, aber meilenweit von dem entfernt, was man in Unternehmen mit der gleichen Führungsverantwortung verdienen kann. Privatleben haben Politiker kaum, Wochenenden auch nicht, dafür sind sie immer und überall Herr Bürgermeister und Herr Ministerpräsident. Nie allein, weil immer in Begleitung von Sicherheitsbeamten, Assistenten, Fahrern, und doch irgendwie einsam. Ja, das muss man wollen, selbst wenn man gar keine Kinder hat.

Ob und wie es mit kleinen Kindern geht, testet übrigens derzeit der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther. Der ist nicht nur junger Landes-, sondern auch wirklich junger Vater, und hat vom ersten Diensttag mit einer Anweisung dafür gesorgt, dass sein Job wenigstens etwas familienkompatibel ist: Er lässt sich erst um 9 Uhr von zu Hause abholen. Bis dahin gehört er seiner Frau und seiner Tochter. Und das ist gut so!