Zum vierten Mal seit Juni rollen keine Züge mehr – das liegt nicht nur am Wetter

Es war eine der cleversten Werbekampagnen der Nachkriegsgeschichte, oft kopiert, nie vergessen: „Alle reden vom Wetter – wir nicht“, lautete seit 1966 über Jahrzehnte der Reklamespruch der Deutschen Bundesbahn. Egal, ob Schnee, Eis, Nebel oder Sturm das Land lähmten, das Staatsunternehmen versprach: „Wir fahren immer.“

Heute hätte nur noch ein Slogan Wahrheitsgehalt: „Wir fahren immer – seltener“. Seit Ende Juni kommt es im Norden nun schon zum vierten längeren Ausfall des Zugverkehrs mit massiven Streckensperrungen.

Am 22. Juni legte ein Unwetter den Betrieb zwischen Hamburg und Hannover sowie Bremen lahm. Am 13. September ging ebenfalls über Stunden nichts mehr – der erste Herbststurm hatte den Fahrplan durcheinander­gewirbelt. Drei Wochen später, am 5. Oktober, stellte die Bahn den Zugverkehr im kompletten Norden und im Fernverkehr zwischen Berlin und Hamburg sowie Berlin und Hannover ein. Und am Sonntag war es wieder so weit.

Dieses Mal soll ein Sturmtief schuld sein. Früher zitterte die Bahn vor dem streikfreudigen Gewerkschaftschef Weselsky, nun legen Tiefdruckgebiete wie „Herwart“, „Xavier“ oder „Sebastian“ den Bahnverkehr bald im Wochenrhythmus still.

Wir wollen nicht vom Wetter reden. Sicherlich mag es eine Häufung von Unwetterlagen geben – früher aber meldete die Bahn selbst nach Jahrhundertorkanen wie „Quimburga“ im November 1972 nur „mehrstündige Verspätungen“. Die Ursachen reichen tiefer: Ein in manchen Bereichen übertriebener Natur- und Baumschutz behindert die Bahn. Die behördlichen Auflagen für Fällarbeiten an manchen Strecken erinnern eher an kafkaeske Dichtkunst denn an kluges Handeln.

Es ist kein Zufall, dass bei jedem Sturm Bäume auf die Oberleitungen kippen. Aber ist das auch ein Naturgesetz? Kaum ein Unternehmen ist so eng mit dem Gesetzgeber verbandelt wie die Deutsche Bahn, die zu 100 Prozent dem Bund gehört – und dessen Vorstand für Infrastruktur, Ronald Pofalla, fast direkt aus dem Kanzleramt kam.

Die Malaise dieser Tage wirft Fragen nach Fehlern bei der Bahnprivatisierung auf. Die renditeoptimierte Bahn AG hat möglicherweise an falscher Stelle gespart. Es fällt auf, dass Schäden immer langsamer geräumt werden und die Pflege der Infrastruktur in der Vergangenheit unzureichend war. Zudem verwundert manche, warum die DB Netz offenbar recht schnell ganze Netzteile lahmlegt – zumindest erhob das Wirtschaftsministerium in Kiel kürzlich diesen Vorwurf: Während die AKN recht schnell wieder rollte, standen die Züge der Bahn lange still.

Der große Vorteil der Bahn, ihre hohe Zuverlässigkeit, wird gerade vom Winde verweht. Der erste Sturmschaden ist der Ruf des Unternehmens. Die frustrierten Reisenden von Anfang Oktober sind noch nicht einmal alle entschädigt, da rollt die nächste Regresswelle. Zehntausende Kunden hängen fest oder müssen spontan aufs Auto umsteigen – nicht wenige werden es sich künftig zweimal überlegen, ob sie eine Zugfahrkarte lösen.

Die Bahn wäre klug beraten, so schonungslos wie selbstkritisch das Desaster aufzuarbeiten. Die Entschuldigung mit dem Wetter nehmen ihr die Kunden jedenfalls bald nicht mehr ab. Wie wusste schon der Theaterkritiker Alfred Kerr: „Mensch, mein Urteil will nicht frech sein, und ich übe gern Geduld. Neunmal Pech mag neunmal Pech sein, doch zehnmal Pech ist schuld.“