Der Streit um die „Ehe für alle“ ist vor allem eine Inszenierung der Parteien. Ein Kommentar zur Gesetzesänderung.

Im Bundestag regnet es Konfetti, „Spiegel Online“ zeigt sein O in Regenbogenfarben, die „Süddeutsche Zeitung“ spricht von einer Sternstunde des Parlamentarismus. Was mag da nur im Reichstagsgebäude geschehen sein? Haben die Abgeordneten nach 50 Jahren Murks eine große Gesundheitsreform verabschiedet? Die Finanzierung der Rente dauerhaft gesichert? Der Gründung einer europäischen Armee zugestimmt? Es müsste doch irgendetwas wirklich Großes geschehen sein. Ist es aber nicht. Es wurde nur ein Gesetz geändert.

Nunmehr ist es homosexuellen Paaren gestattet zu heiraten. Das einzig Wesentliche, was sich für sie im Vergleich zur bisherigen „eingetragenen Lebenspartnerschaft“ ändert, ist ihr Recht auf Adoption. Ansonsten waren sie bereits gleichgestellt: bei den Steuern, beim Unterhalt, bei Erbschaften.

Es ist schon erstaunlich, mit welcher Leidenschaft die Protagonisten auf der Politbühne agierten. Wie emotional sich beide Seiten ins Zeug legten. Und das allles, um knapp 100.000 Menschen (so viele eingetragene Partnerschaften gibt es zurzeit) eine Ehe zu ermöglichen. Nein, das war keine Sternstunde. Und schon gar kein historischer Moment. (Der 31. Mai 1994 war einer – damals wurde der Paragraf 175 abgeschafft, der Homosexualität unter Strafe stellte.) Am Freitag gab es lediglich das Schauspiel einer politischen Klasse zu sehen, die den Blick für das wirklich Bedeutende verloren zu haben scheint.

Parteien vernachlässigen wichtigere Themen

Die Sachentscheidung als solche ist vor allem eines: nicht sonderlich wichtig. Den meisten Menschen dürfte die „Ehe für alle“ relativ egal sein. Dennoch hinterlässt das Votum der Abgeordneten eine ziemlich große Wut.

Denn es gibt Dutzende und Aberdutzende Themen, die von weit größerer Bedeutung für weit mehr Menschen sind als das Adoptionsrecht einer kleinen Minderheit. Dennoch beherrscht dieses Thema seit Wochen die gesamte politische Debatte. FDP, SPD und Grüne stellen sich in die Arena und verkünden mit Pathos, dass sie niemals eine Koalition eingehen werden, die gegen die „Ehe für alle“ sei. Bitte?

War da nicht mal was mit Bürgerrechten und Steuerreformen bei den Liberalen? Mit Armutsbekämpfung und ­gerechter Besteuerung bei den Sozialdemokraten? Mit dem ökologischen Umbau der Gesellschaft bei den Grünen? Offenbar alles nicht wichtig genug, um es als Voraussetzung für eine Koalition zu nennen.

Art und Weise ist ein Drama

Und so werden wir in den kommenden Monaten wieder einen gähnend leeren Plenarsaal erleben, wenn darüber debattiert wird, ob wir bis 70 oder 72 arbeiten sollen, bis wir eine dennoch sinkende Rente beziehen können; wir sehen und hören müde Reden, wenn es um Kinderarmut, Hartz IV, den Brexit, Flüchtlinge, Freihandel, die Zukunft der EU, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Wohnungsnot oder die Finanzierung der Bundeswehr geht.

Doch das Gros der Politiker im Bundestag hat ja ein bequemes Thema gefunden, um sich vermeintlich liberal und modern positionieren zu können. Tatsächlich hat es eine Lobbygruppe, in diesem Fall die der Homosexuellen, geschafft, einem Thema eine Bedeutung beizumessen, das es nie verdient hat.

Dass diese Gruppe in der Politik nicht eben unterrepräsentiert ist, kann man ihr nicht vorwerfen. Dass sie Erfolg hat, auch nicht. Doch bei allen, deren Anliegen nicht von einer großen und gut vernetzten Gruppe transportiert werden, bleibt ein bitterer Nachgeschmack.

Die „Ehe für alle“ ist kein Drama. Die Art und Weise, wie sie zustande gekommen ist, allerdings schon.