Sein Wahlsieg ist keine gute Nachricht für Europa. Donald Trump verspricht eine Rückkehr in eine Welt, die es nicht mehr gibt.
Manchmal möchte man kleine Ereignisse in der Weltgeschichte verändern, um große Folgen zu verhindern: 1904 zog ein gewisser Friedrich Trump mit seiner Gattin Elisabeth aus New York nach Kallstadt in der Pfalz, um sich in seiner alten Heimat niederzulassen. Die Innenbehörde in Speyer aber hielt den damals 35-Jährigen für einen Wehrdienstverweigerer, versagte ihm die Wiedereinbürgerung und wies ihn schließlich 1905 aus. Notgedrungen kehrte er nach New York zurück und kam später zu einem großen Vermögen.
Sein Enkel Donald wird nun der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika – und die Welt schaut bestürzt und fassungslos auf dieses Mutterland der Demokratie. Die Börsen gingen gestern zu Handelsbeginn weltweit auf Talfahrt, in den sozialen Netzwerken mischte sich Entsetzen mit Galgenhumor – und in Kanada brach die Seite der Einwanderungsbehörde angesichts vieler Anfragen aus den USA zusammen. Bis hinein in die Republikanische Partei von Donald Trump hatten hochrangige Politiker im Wahlkampf offen gegen den Seiteneinsteiger Position bezogen, Diplomaten gänzlich unüblich vor dem Unternehmer und Poltergeist gewarnt und Politologen wahre Horrorszenarien gemalt: Ein unberechenbarer und beratungsresistenter Irrwisch werde da mit dem Atomkoffer ins Weiße Haus ziehen.
Nun kommt es zum Abgleich mit der Wirklichkeit. Man darf hoffen, dass Donald Trump in den vergangenen Monaten dämonisiert wurde und im Amt vernünftiger und zurückhaltender agiert als in einem Wahlkampf, der rasch jedes Maß und jede Mitte verlor. Von der mitunter moralisch hohen Warte in Deutschland sah Trump am Ende nur noch wie eine Karikatur aus – eine Karikatur aber, die die Mehrheit der Amerikaner für präsidiabel hält.
Trump ist eine politische Black Box
Auch das ist Teil der Wahrheit: Bislang hat das Weiße Haus noch jeden Präsidenten mindestens genauso geprägt wie der Präsident das Weiße Haus. Erinnern wir uns an die Weltuntergangsszenarien, als der Cowboy Ronald Reagan 1980 zum Präsidenten gewählt wurde – viele Bundesbürger rechneten daraufhin mit dem baldigen Atomkrieg. Es kam anders: 1992 wurde Reagan Ehrenbürger der Stadt Berlin.
Trump aber bleibt ein großer Unbekannter – weder ist er in ein funktionierendes Netzwerk von Parteifreunden und Beratern integriert, noch bringt er irgendeine politische Erfahrung mit. Zur Bundesregierung etwa gibt es bislang überhaupt keine belastbaren Kontakte. Das macht Donald Trump mehr als jeden seiner Vorgänger zu einer politischen Blackbox.
Zugleich wirft seine Wahl ein weiteres Schlaglicht auf die Verfassung westlicher Staaten. Nach dem Brexit ist die Wahl Donald Trumps die zweite demokratische Konterrevolution. Sie stellt viele Errungenschaften infrage: Globalisierung, Digitalisierung, Demokratisierung der Gesellschaft. Trump hat die Rückkehr versprochen in eine Welt, die es längst nicht mehr gibt. Eine Welt ohne große Unsicherheit, ohne Zuwanderer und Flüchtlinge, ohne Billigkonkurrenz aus Schwellenländern, ohne rasanten Wandel. Eine Welt, in der es den Kindern morgen besser gehen wird und niemand fürchtet, dass es schlechter wird. Die vermeintlich gute alte Zeit.
Leider ist es ein Idyll fern der Realität, ein Rückzug in die eigene, kleine Welt, in ein amerikanisches Schneckenhaus. Es ist kein Zufall, dass Trump besonders heftig gegen das Freihandelsabkommen TTIP agitierte. Das dürfte nun erledigt sein, da kann sich die deutsche Linke wie die Rechte zumindest in einem Punkt freuen.
Versagen der Eliten hat Trump gestärkt
Aber die Flucht in die Vergangenheit ist keine Strategie für die Zukunft. Die Flucht in die Emotion ersetzt keine Fakten. Das wird vermutlich auch Trump wissen, der sich in seiner ersten Erklärung in der Nacht schon deutlich moderater gab. Auch ein amerikanischer Präsident kann sich dem globalen und digitalen Wandel kaum entgegenstellen. Seine Herausforderung wäre, ihn gerecht zu gestalten.
Daran aber hat es in den vergangenen Jahren gerade in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien gemangelt – der Brexit und die Wahl Trumps sind auch Reaktionen auf die Zerstörung vieler Lebensentwürfe durch die ungezügelte Macht freier Märkte, die verheerenden Spätfolgen der Finanzkrise. Disruption. Dieses Schlagwort aus der Wirtschaftswissenschaft beschreibt eigentlich eine Innovation, die etwas Bestehendes völlig verdrängt. Nun droht die Disruption die Politik zu erfassen.
Auch das Versagen der Eliten hat Trump stärker gemacht – weder haben Medien und Meinungsforscher erkannt, was sich da zusammenbraut, noch angemessen und frühzeitig reagiert. Ob in Washington, Brüssel oder auch in Berlin – die Eliten leben mitunter in einer Blase. Sie glaubten, Amerika sei vor allem das Silicon Valley und die Ostküste, es ist aber auch der Rostgürtel deindustrialisierter Gebiete im Nordosten und der Bibelgürtel im Süden. Nur alte, traurige weiße Männer galten als Trumpisten – solche Verlierertypen ernteten statt Verständnis vor allem Verachtung. Die eigenen Ansichten hingegen setzten zu viele im sogenannten Establishment als absolut. Sie hatten die Argumente auf ihrer Seite, aber nicht die Wut. Hinzu kommt vielleicht auch ein geradezu selbstzerstörerisches Moment. Wenn, wie im US-Wahlkampf, alles zu einer großen Fernsehshow verkommt, wählt der Zuschauer am Ende möglicherweise das Programm mit dem besonderen Kick. Eben weil es spannender ist. Da haben Fakten keine Chance.
Die Elite war unfähig zu erkennen, dass weder das Land noch die Mehrheit so tickt wie sie. Ganz im Gegenteil: Trumps Wahlsieg deutet an, dass die Eskapaden einer politisch stets korrekten Elite in Politik, Kultur und Medien mit ihren Denk- und Sprachverboten genau diese politisch unkorrekten Politiker gebiert. Ganz Hollywood, das ganze Silicon Valley und fast alle Medien waren gegen Trump – am Ende dürfte ihm diese Front der Ablehnung mehr genutzt als geschadet haben. Unsichere Zeiten suchen sich neue Stars. So ist der Wahlsieg eines rechten Populisten auch ein Weckruf an die Linke.
„Make America great again“, lautete Trumps schlichte wie geniale Botschaft. Sie atmet das Reaktionäre wie den Aufbruch – und rechnet ab mit dem Amerika eines Barack Obama, dessen Regierungszeit in den USA durchaus kritisch gesehen wird. Der Friedensnobelpreisträger hat ein Land voller Feindschaft zurückgelassen. Und die Demokratin Hillary Clinton, das ahnte man schon zuvor, war die falsche Kandidatin zur falschen Zeit.
Donald Trump hat nun die Aufgabe, ein zutiefst zerrissenes, ja vom Hass zersetztes Land zu vereinen. Der Republikaner hat versprochen, ein Präsident aller Amerikaner zu werden. Es ist zu wünschen, dass ihm das gelingen wird. Wahrscheinlich ist es nicht.
Doch bei aller verständlichen Abneigung gegen den Immobilienmogul im Weißen Haus gebietet der Respekt vor dem amerikanischen Wähler nun Zurückhaltung. Man wird mit Trump leben und auf Diplomatie setzen müssen. Vizekanzler Sigmar Gabriel hat den Wahlsieger in Washington als „Vorreiter einer neuen autoritären und chauvinistischen Internationalen“ bezeichnet, Ralf Stegner nennt ihn gar einen „Hassprediger“. Unbeherrschtheit ist offenbar nicht nur Donald Trump eigen.
Ungemütliche Zeiten für Europa
Diese Rhetorik ist unklug, auch wenn sie im Inhalt gar nicht falsch sein muss: Autoritäre Staatenlenker waren die Ersten in der Gratulationscour. Der russische Präsident Wladimir Putin, aber auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan dürften sich gestärkt fühlen. Auch Populisten aus westlichen Ländern beglückwünschten Trump überschwänglich zu seiner Wahl, als viele etablierte Politiker noch um Worte rangen. Für den grassierenden Populismus ist der Wahlsieg Trumps ein weiterer Verstärker. Auf Europa kommen ungemütlichere Zeiten zu.
Trump wird nicht nur deutlich mehr Geld und Mittel für die Nato fordern, sondern auch den freien Handel behindern. Gerade für die deutsche Exportwirtschaft ist das keine gute Nachricht. Trumps Agenda ist innenpolitisch, ein neuer Isolationismus inklusive. Das alles zwingt Europa zu mehr Gemeinsamkeit. Bis gestern hat sich der alte Kontinent zu sehr auf Amerika verlassen, nun wird er sich zwangsläufig emanzipieren müssen. Mit Amerika ist zumindest vorerst nicht mehr zu rechnen. Europa muss selbst handeln.
Es bedarf einer Politik, die näher zum Wähler geht, um Sigmar Gabriel in einem seiner starken Momente zu zitieren: „Raus ins Leben; da, wo es laut ist; da, wo es brodelt; da, wo es manchmal riecht, gelegentlich auch stinkt.“ Es bedarf einer Politik für alle Europäer, einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik und einer Sicherung der Außengrenzen. Es muss darum gehen, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, neue Technologien voranzubringen und endlich das Bildungswesen europaweit zu verbessern. Im gesamten Internetsektor ist Europa nur noch Absatzmarkt für die großen US-Unternehmen. Die viel beschworene Industrie 4.0 – die Vernetzung der Güterproduktion mit dem Internet – wird die Volkswirtschaften zusätzlich umwälzen.
Gerade der alte Kontinent mit seiner sozialstaatlichen Tradition muss den Wandel nicht nur ängstlich betrachten, sondern aktiv gestalten. Nationale Alleingänge, die auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit der Energiewende und ihrer Flüchtlingspolitik eingeschlagen hat, darf es nicht länger geben. Die Schuldenkrise harrt einer Lösung – auch wenn sie teuer wird. Die vielleicht wichtigste Botschaft aber lautet: Es gibt keine Sicherheiten und Selbstverständlichkeiten mehr – das Erreichte muss immer wieder neu errungen werden.
Der ehemalige grüne Bundesaußenminister Joschka Fischer sprach am Dienstag in Hamburg beim Hermes-Zukunftsforum über seine politischen Albträume. Nach dem Albtraum Brexit ist nun der europäische Albtraum Trump über Nacht wahr geworden. Und im kommenden Jahr droht ein dritter, vielleicht noch schlimmerer Albtraum – ein Sieg der französischen Populistin Marine Le Pen. Ein Triumph des Front National könnte die Europäische Union in Stücke reißen. Die demokratische Konterrevolution, sie hat möglicherweise gerade erst begonnen.