Islamisten wollen einen 16-jährigen Jugendlichen an der Kennedybrücke ermordet haben – und die Angst schüren.
Der Schrecken, er hört nicht auf. Noch immer ist die Stadt fassungslos angesichts des heimtückischen Mordes an der Kennedybrücke. Nun mischt sich in die Fassungslosigkeit ein verstörender Verdacht. Der 16-jährige Victor, der mit seiner Freundin den Abend an der Alster verbringen wollte, könnte das erste Todesopfer des sogenannten Islamischen Staates in Deutschland sein. Zumindest bekennt sich die Terror-Miliz über ihre Propaganda-Agentur Amaq zu der Bluttat.
Noch muss man Zweifel an der tatsächlichen Verantwortung der Teufelskrieger hegen. Die Urheberschaft aber aufgrund eines Fehlers und des späten Bekenntnisses als unglaubwürdig vom Tisch zu wischen, – wie einige Medien es noch in der Nacht taten –, ist naiv. Das vermeintlich weitere Opfer mag ein Übersetzungsfehler sein oder eine versteckte Botschaft. Und dass der „IS“ einige Tage abgewartet hat, sollte vielleicht nur dem Täter helfen.
Zu oft aber regiert in diesem Land der Reflex, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Seit Tagen rätselten die Ermittler über die Untat und ihre Hintergründe, setzten Profiler ein und stellen die Mordnacht nach – eine Attacke eines religiös Verblendeten mochte keiner in Erwägung ziehen. Dies mag dem politischen Stimmungsbild geschuldet gewesen sein, weder möchte man Vorurteile bedienen noch Ängste schüren.
Mordfall würde zum „IS“ passen
Aber Denkblockaden lähmen die Aufarbeitung. Wer daran zweifelt, sei an die NSU-Mordserie erinnert. Jahrelang vermuteten Ermittler die Täter der sogenannten Döner-Morde im Migrantenmilieu, tatsächlich waren es rechtsextremistische Terroristen. Sie blieben auch so lange unentdeckt, weil das Motiv Fremdenhass zu wenig verfolgt worden war.
Natürlich klingt es grotesk, dass eine Terrororganisation, die noch vor Wochen ein staatenähnliches Gebilde im Nahen Osten beherrschte, nun die Verantwortung für einen Messermord an einem 16-Jährigen im 3000 Kilometer entfernten Hamburg übernimmt.
Und doch passt eine Mordtat wie diese durchaus in die Strategie des „Islamischen Staates“. Die Islamisten wollen Hass säen, Unruhe stiften, die Ungläubigen im Alltag treffen. Derlei Taten bedürfen weder einer größeren Logistik noch einer besonderen Vorbereitung. Jeder fanatisierte Teufelskrieger benötigt nur ein Messer und kann in seinen privaten Dschihad ziehen.
Keine hundertprozentige Sicherheit für Hamburger
Der molekulare Bürgerkrieg, vor dem Hans Magnus Enzensberger schon 1993 sprach, er wäre damit endgültig auf Deutschland Straßen angekommen. Und weder eine perfekt ausgerüstete Polizei noch ein allmächtiger Verfassungsschutz wären in der Lage, die Bürger davor zu schützen. Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit. Die gab es aber auch früher nicht und die wird es auch nicht geben, wenn der „IS“ einstmals besiegt sein wird. Eine freie Gesellschaft muss den Terror bekämpfen, wo immer es geht, verhindern aber kann sie ihn nicht.
Vielmehr muss es Aufgabe der Sicherheitskräfte sein, die Gefahr maximal zu minimieren. Die viel geschmähten Geheimdienste, die Politik und viele Beamte haben in den vergangenen Monaten Beeindruckendes geleistet – viele Terrorverdächtige erkannt, überwacht und rechtzeitig festgenommen. Während jeder Fehler in der Öffentlichkeit seziert wird, wird dieser Erfolg zu oft gering geschätzt oder gar übersehen.
Noch bleibt unklar, ob der Hamburger Schüler von einem verwirrten Passanten oder einem fanatisierten Islamisten ermordet worden ist. Das verbietet vorschnelle Deutungen, erst recht jede politische Instrumentalisierung. Aber der Verdacht entwickelt sich eben nicht im luftleeren Raum: Die Anschläge von Ansbach und Würzburg, die vereitelten Attacken auf Regionalzüge in Köln, den Hauptbahnhof in Bonn oder öffentliche Plätze in Düsseldorf sowie die Vielzahl von Terrorrazzien zeigen: Deutschland steht längst im Fadenkreuz internationaler Terroristen. Allein die Möglichkeit, dass der „IS“ nun an der Alster wahllos Jugendliche ermorden könnte, wirkt sich auf das Sicherheitsgefühl der Bürger aus.