Auf den ersten Blick ist der Sophienterrassen-Kompromiss gut – aber nur auf den ersten.

Politik, so meinte Reichskanzler Otto von Bismarck, ist stets die Kunst des Möglichen. Betrachtet man es so, darf man mit dem mühsam erstrittenen Kompromiss des Bezirks Eimsbüttel mit Anwohnern der Sophienterrasse zufrieden sein: Auch in Harvestehude wird es bald ein Flüchtlingsheim geben. Die Anwohner geben ihren Widerstand auf, dafür fällt die Einrichtung mit 190 statt 220 Flüchtlingen etwas kleiner aus. Den Versuch der Kläger, ein Flüchtlingsheim à la carte zu bekommen, hat die Stadt wohl im letzten Moment verhindert. Die Anwohner hätten, so heißt es, die Einrichtung am liebsten nur mit Familien aus Bürgerkriegsländern belegt. Nun bekommen sie immerhin noch eine Quote von 80 Prozent Familien.

Der Kompromiss hat symbolischen Wert. Die Stadt eröffnet auch in vermeintlich „besseren“ Stadtteilen Einrichtungen für Flüchtlinge. Das ist zwar wesentlich teurer als in den üblichen Lagen wie Jenfeld, Harburg oder Wilhelmsburg, aber es ist ein Signal von unschätzbarem Wert: Die Aufnahme von Asylbewerbern ist eine Gemeinschaftsaufgabe und geht alle in der Stadt an. Zugleich haben sich die Kläger einen Ruck gegeben: Sie sahen sich zuletzt einem immensen öffentlichen Druck ausgesetzt einzulenken. Sich über sie zu empören aber ist leicht, wenn man keinen Immobilienbesitz in der Nähe von Flüchtlingseinrichtungen hat. Bei aller Verärgerung darf man zudem nicht übersehen: Es macht den Rechtsstaat aus, dass ein jeder sein Recht erstreiten darf.

Und doch gilt: Nicht jeder, der recht bekommt, hat auch recht. Eine Klage gegen ein Flüchtlingsheim in der Nachbarschaft ist und bleibt egoistisch. Entweder gibt es einen gesellschaftlichen Konsens über die Aufnahme von Asylbewerbern – dann sollte man bei der Umsetzung Politik und Verwaltung nicht Knüppel zwischen die Beine werfen. Oder aber man hält Stadt und Land insgesamt für überfordert, dann sollte man es offen aussprechen und diskutieren. St. Florian darf niemals politisches Prinzip werden.

Kompromisse wie dieser senden aber noch eine zweite, eine gefährliche Botschaft: Widerstand gegen Flüchtlingsheime lohnt sich eben doch. Das Heim wird kleiner, die Bewohner eben doch handverlesen. Das trübt die Freude über die Einigung erheblich.

Wer nun glaubt, dass dieser Streit der letzte in der Hansestadt bleibt, ist ein Träumer. Schon jetzt stehen Anwohner geplanter Einrichtungen in anderen Stadtteilen mit den Anwälten in Kontakt. Das Denken der Menschen dreht schnell, wenn das Problem vom Fernsehschirm plötzlich in der Nachbarschaft ankommt. „Refugees Wel­come“ zu rufen, solange sie nicht da sind, ist einfach. Schwieriger wird es, wenn sie erst einmal da sind.

Auch wenn die Hilfsbereitschaft der Hamburger überwältigend ist, muss das nicht so bleiben. Der Streit um die Sophienterrasse wirft ein Schlaglicht auf eine Debatte, welche die Aufnahme von Flüchtlingen nicht vom Ende her denkt. Berauscht vom Zauber des Moments eines „hellen Deutschlands“ glauben Politik und breite Teile der Öffentlichkeit, das Septembermärchen werde ewig so weitergehen. Sie verkennen, dass die ungebremste Aufnahme von Migranten über einen längeren Zeitraum den Konsens, der sie erst ermöglicht hat, zerstören wird.

„Wir schaffen das“, wird die Kanzlerin nicht müde zu sagen. Wenn aber bald um jedes Flüchtlingsheim gefeilscht werden muss, wenn gar Turnhallen oder städtische Einrichtungen zu Asylbewerberheimen umfunktioniert werden, wird der Satz von Angela Merkel vielerorts hinterfragt werden. Dann werden Anwälte, Bezirkspolitiker, Gerichte und Verwaltung noch mehr Arbeit bekommen. Am Ende behält vielleicht doch der tschechische Politiker Vaclav Havel recht: „Aus meiner Erfahrung kann ich nur sagen: Politik ist nicht die Kunst des Möglichen, sondern des Unmöglichen.“