Chancen für Hamburg: Nimmt das IOC seine eigene Vorgaben ernst, wäre die Stadt der Favorit auf Olympia 2024.

Als die renommierte „New York Times“ Ende März das erste Mal größer über Hamburgs Olympia-Kandidatur berichtete, gab sie ihren Lesern in Klammern noch den dezenten Hinweis „Germany“. Nur ein halbes Jahr später verzichteten die Zeitungsmacher nun auf diesen Zusatz. Offenbar weiß der gebildete US-Amerikaner jetzt, wo denn diese Stadt liegt. Hamburg scheint angekommen in der Weltliga, der gerade angelaufenen Olympia-Bewerbung sei Dank. Seit Mittwochmorgen darf sich die Stadt zudem Candidate City nennen, was der weiteren Wahrnehmung nicht schaden wird. Schon heute ist die Olympia-Kampagne die bislang effektivste Marketingmaßnahme in der Geschichte der Stadt.

Ob diese Erfolgsstory fortgeschrieben werden kann, entscheiden Hamburgs Bürger am 29. November. Nicht weniger als die Gestaltung der Zukunft der Stadt steht dabei auf den Stimmzetteln des Referendums; wobei die Optimisten glauben, Hamburg werde seinen stolzen Bürgern mit der Ausrichtung der Sommerspiele 2024 neue gesellschaftliche wie auch wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnen, die Skeptiker aber weiter fürchten, der Preis für diese – aus ihrer Sicht allzu vagen – Chancen sei zu hoch.

Wer den Host-City-Vertrag liest, das vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) verfasste Regelwerk zur Durchführung der Spiele, kann einige der Bedenken verstehen. In Teilen „unausgewogen“ nennt dann auch Sportrechtler Matthias Trennt das Werk, weil finanzielle und rechtliche Risiken weitgehend der Olympiastadt aufgebürdet werden. Immerhin unterstützt das IOC den Gastgeber künftig mit Zahlungen und Zuwendungen im Gesamtwert von 1,7 Milliarden Dollar, derzeit 1,5 Milliarden Euro.

Dass das IOC in seinem neuen Vertragswerk während der Olympischen und Paralympischen Spiele Presse- und Meinungsfreiheit garantiert wissen möche, jederzeit auf angemessene Arbeitsstandards pocht, Korruption geißelt, auf Umweltschutz und Nachhaltigkeit besteht, keine Ruinen mehr hinterlassen will, das sind wiederum zivilisatorische Fortschritte, die nicht hoch genug anzuerkennen sind. Für eine Weltorganisation sind weitreichende Formulierungen dieser Art noch keine Selbstverständlichkeit. Dem Weltfußballverband Fifa sind sie bislang nicht in den Sinn gekommen.

Der erste große Schritt zu auf die Gepflogenheiten pluralistischer Gesellschaften hat fünf respektable OlympiaKandidaten für 2024 hervorgebracht, die mit ihren Plänen in das Reformkonzept des deutschen IOC-Präsidenten Thomas Bach passen: Budapest, Hamburg, Los Angeles, Rom und Paris. Im Gegensatz zur Entscheidung über die Winterspiele 2022 zwischen Peking und Almaty stehen die rund 100 IOC-Mitglieder im September 2017 nicht mehr vor der Wahl der Qual.

Hamburg, die Stadt, die bisher die wenigsten im IOC kannten, hat in diesem Wettbewerb aber nur dann eine Chance, wenn die Hüter der Ringe ihre eigenen Vorgaben aus der Agenda 2020 ernst nehmen. Werden Nachhaltigkeit, Vermächtnis und eine Vision für die Zukunft der Stadt zu Eckpfeilern der Entscheidung, muss Hamburg sogar als Favorit auf den Zuschlag gelten: Keine andere Stadt des Kandidatenquintetts erfüllt die Anforderungen des IOC-Reformpaktes derart wortgetreu. In der Vergangenheit spielten solche Überlegungen indes eher eine Nebenrolle. Die bessere Lobbyarbeit, oft nicht über jeden Verdacht erhaben, gab am Ende meist den Ausschlag. Das zu ändern würde dem IOC ein Stück Glaubwürdigkeit zurückgeben und das Vertrauen in eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der ausrichtenden Stadt stärken helfen – ungeachtet aller noch so unausgewogenen Verträge.