Sein leidenschaftlicher Appell zur Rettung der Erde geht uns alle an – nicht nur Katholiken.

Die Rolle der Katholischen Kirche als moralische Leitinstanz für die Gläubigen war im Laufe der Jahrhunderte nicht immer überzeugend, um es milde auszudrücken. Exzesse wie Kreuzzüge und Inquisition oder monströse Gestalten auf dem Thron Petri wie der Borgia-Papst Alexander VI. müssen gewiss vor dem Hintergrund ihrer dunklen Zeit bewertet werden, doch aktuelle Punkte wie die starre Haltung Roms zur Empfängnisverhütung angesichts einer drohenden Überbevölkerung der Erde oder auch das Dogma der Ehelosigkeit von Priestern sorgen, zumindest in Europa, weiter für Glaubenszweifel und eine massive Kirchenflucht.

Wenn aber die persönliche Lebensführung einschließlich der Sexualität und auch der Glaube selber zu einer ganz privaten Angelegenheit werden – welche Rolle soll dann dem Vatikan noch zukommen? Der Pole Johannes Paul II. vermochte es noch, mit seinem Charisma seine erzkonservativen Positionen zu überdecken; sein deutscher Nachfolger Benedikt XVI., der fragile Intellektuelle, scheiterte an den inneren Widersprüchen der vatikanischen Politik und den enormen Herausforderungen einer gewandelten Welt.

Was also kann Kirche heute bewirken? Eine mögliche Antwort liefert nun Benedikts Amtsnachfolger Franziskus. Der erste Papst der Geschichte vom amerikanischen Doppelkontinent relativiert in seiner ersten von ihm allein geschriebenen Enzyklika im Grunde den Auftrag Gottes an die Menschen im Buch Genesis: Macht euch die Erde untertan. Denn das haben die Menschen bislang bis an den Rand des ökologischen Kollapses getan.

Das Lehrschreiben „Laudato Si“ ist nicht nur eine klare Aufforderung an uns alle, mit der Zerstörung unseres Planeten aufzuhören, es stellt auch eine Herausforderung an jene Kräfte in Politik und Wirtschaft dar, die die Erde ausschließlich unter dem Aspekt ihrer Ausbeutbarkeit betrachten.

Da fordern führende amerikanische Republikaner – ohne den 200 Seiten umfassenden Text der Enzyklika überhaupt schon zu kennen –, Franziskus solle sich auf seine eigentlichen Aufgaben konzentrieren.

Doch genau das tut er – das Oberhaupt von 1,2 Milliarden Gläubigen wird seiner enormen Verantwortung gerecht, wenn er sich um die Schöpfung und damit die Lebensgrundlagen der Menschen sorgt. Denn was passiert, wenn aufstrebende Staaten in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung ebenfalls jene Skrupellosigkeit an den Tag legen, die dem Westen lange zu eigen war und teilweise noch ist, kann man zum Beispiel an den giftverseuchten Regionen in China betrachten.

Die Verseuchung des Trinkwassers oder die Erderwärmung, die Franziskus beschreibt – dass sich Teile der Erde in eine riesige Müllhalde zu verwandeln drohen, die galoppierenden Verluste biologischer Vielfalt –, all dies sind sehr reale Gefahren und entgegen durchsichtigen Behauptungen diverser Interessenvertreter eben menschengemacht. Indem der Papst uneinsichtigen Politikern, mächtigen Wirtschaftsverbänden und Geldinstituten die Leviten liest, indem er gar eine „Unterwerfung der Politik unter Technologie und Finanzwesen“ konstatiert, orientiert sich die Katholische Kirche an ihren eigenen moralischen Ansprüchen. Im Sinne von Mensch und Schöpfung.

Es ist in der Vergangenheit nicht sehr oft vorgekommen, dass der Vatikan bei seinen Handlungsempfehlungen wissenschaftlich auf der Höhe der Zeit ist. Diesmal ist es der Fall. Und einerlei, ob Katholik, Protestant, Muslim oder Atheist – diese Enzyklika des Papstes geht uns alle an.