Das Naturphänomen bewegt die Menschen heute genauso wie im Altertum. Gemeinsam erlebt, brennt sich das Schauspiel der Gestirne ins Gedächtnis ein.

Heute um 10.40 Uhr triumphierte das wahre Leben über jede Virtualität. Ein plötzlich heraufziehender Nebel ermöglichte in Hamburg den Blick auf den Mond, der sich vor die Sonne schob und sie zu fast 80 Prozent verdeckte. Ein seltsam fahles graues Licht legte sich über die Stadt. Passanten blieben auf der Straße stehen, Konferenzen wurden unterbrochen, die Menschen liefen an die Fenster.

Auch wenn alle bearbeiteten Fotos im Fernsehen oder Internet die verdeckte Sonnenscheibe größer, farbiger oder schärfer zeigten, beeindruckender bleibt das Schauspiel der Gestirne. Die Millionen Selfies im Netz, die halbgaren Gags und immergleichen Montagen sind schon heute vergessen, das Bild der verdunkelten Sonne hat sich tief in das Gedächtnis gebrannt.

Dieses Himmelsereignis hat viele Menschen bewegt – aus vielerlei Gründen: Die Sonnenfinsternis war ein gemeinsames Erlebnis, ein Himmelsschauspiel, etwas zutiefst Romantisches. Auch im modernen Menschen bringt es ein Echo aus uralten Vorzeiten in uns zum Klingen. Eine Sonnenfinsternis hat stets etwas Mystisches. Man mag sich vom Anblick nicht losreißen, doch wenn man die Augen nicht abwendet, erblinden sie. Zugleich zeigt die Eklipse den Menschen seine Endlichkeit auf. Die nächste totale Sonnenfinsternis wird erst im Jahre 2081 über Deutschland zu sehen sein, statistisch muss jeder Ort 375 Jahre auf ein solches Ereignis warten

Wie ein roter Faden zieht sich die schwarze Sonne durch die Menschheitsgeschichte: Schon das zweite Buch Mose beschreibt eine Sonnenfinsternis, bei der Kreuzigung Christi verdunkelte sich der Himmel. Das Phänomen entschied Kriege, befeuerte den Aberglauben – und die Wissenschaft. Die Eklipse 1919 bestätigte erstmals die Relativitätstheorie von Albert Einstein. Als Adalbert Stifter 1842 eine totale Sonnenfinsternis beobachten durfte, notierte er: „Nie und nie in meinem ganzen Leben war ich so erschüttert wie in diesen zwei Minuten, es war nicht anders, als hätte Gott auf einmal ein deutliches Wort gesprochen, und ich hätte es verstanden.“

Der Blick zum Firmament hat die Menschen stets bewegt, sie inspiriert und zum Griff nach den Sternen ermuntert. Die Mondlandung gab US-Präsident John F. Kennedy 1961 als nationales Ziel aus. Kein einziges Weltraumprojekt werde die Menschheit mehr beeindrucken, sagte er in seiner berühmten Rede vor dem Kongress. Acht Jahre später hatten die USA ihr Ziel erreicht, und Hunderte Millionen Zuschauer harrten vor den Fernsehern aus, um die Mondlandung live zu bestaunen. Es waren Momente, die eine ganze Generation geprägt haben, ein Ereignis, das Zeitgenossen ihr Leben lang nicht mehr vergessen werden. Und das die Menschheit allen Unkenrufen und Verschwörungstheorien zum Trotz enorm vorangebracht hat. Der Griff nach den Sternen hat Erfindungen und Verbesserungen ermöglicht – bei Solarzellen, in der Mikroelektronik und sogar bei Windeln. Die Ära der Mondlandung war die Zeit von Fortschrittsglaube und Techniklust. Heute indes regiert in Deutschland eher Fortschrittsverweigerung und Technikfeindlichkeit.

Der Blick zu den Sternen hilft, Grenzen zu sprengen. Er schenkt der Menschheit die Transzendenz, er inspiriert die Kunst, Philosophie, Literatur, er entfacht den Forscherdrang. Raumfahrt ist Wagnis und Perspektiverweiterung, sagt der deutsche Astronaut Reinhold Ewald. Wir können beides gut gebrauchen. Vielleicht hat das Himmelsschauspiel jungen Menschen einen Forschertraum eingepflanzt. Eine Sonnenfinsternis ist eine Einladung zu den Sternen – und ein Geschenk des Himmels.