Der SPD-Bürgermeister deklassiert andere Parteien. Die CDU muss sich neu erfinden. Und die Grünen profitieren von der AfD
Es war ein großer Abend für Olaf Scholz, auch wenn er die absolute Mehrheit verloren hat. Ausgerechnet er, der in politischen Satiresendungen wie der „heute-show“ immer noch als „Hein Öd“ verspottet wird, kommt bei der Bürgerschaftswahl in die Nähe der 50 Prozent. Ein an sich unmögliches Ergebnis, wenn man schon vier Jahre in der Regierung hinter sich hat und man sich die Kräfteverhältnisse der Parteien in Deutschland ansieht. Scholz holt in Hamburg fast doppelt so viele Prozentpunkte, wie sie die SPD erhalten würde, wenn jetzt Bundestagswahl wäre – und schon sprechen überregionale Medien vom nächsten Kanzlerkandidaten. Er deklassiert die Oppositionsparteien, allen voran die CDU, die mit nur einem Drittel der SPD-Stimmen zweitgrößte Fraktion bleibt. Was für ein Ergebnis.
Dabei ist der große Sieger alles andere als ein Übermensch, ja, nicht einmal ein politischer Überflieger. Scholz ist klug, kompetent, belastbar, durch und durch ein Stratege. Aber seine erstaunliche Stärke verdankt er, ähnlich wie Bundeskanzlerin Angela Merkel, eben auch der Schwäche der Opposition. Vor allem CDU und Grüne haben den Bürgermeister nach der Wahl 2011 wachsen lassen, sie haben weitgehend tatenlos zugesehen, wie sich Scholz vom vermeintlichen „Automaten“ zu einem Senatschef hocharbeitete, der geachtet und sehr beliebt ist. Scholz hatte seine Agenda, und die hat er konsequent abgearbeitet.
Die CDU und die Grünen, zuvor ja gemeinsam in der Regierung, hatten in vier Jahren nichts dagegenzusetzen. Natürlich hätte es insbesondere bei der Union nach dem Desaster mit Bürgermeister Christoph Ahlhaus einen Neuanfang geben müssen, der diesen Namen auch verdient. Aber anscheinend hat sich die CDU darauf verlassen, dass es schlimmer als vor vier Jahren in Hamburg nicht kommen könnte. Und muss jetzt die größte Enttäuschung ihrer Geschichte hinnehmen, nach der schwerlich auch nur irgendetwas so bleiben kann, wie es bisher war. Die Partei wird über ihre Ausrichtung genauso nachdenken müssen wie über ihr Führungspersonal und ihren politischen Stil.
So angenehm und hanseatisch das Auftreten des Spitzenkandidaten Dietrich Wersich war, so wichtig wird es in den kommenden fünf Jahren sein, die SPD und Scholz richtig zu attackieren. Die Nadelstiche der vergangenen Wahlkampfwochen, überwiegend in der Verkehrs- und der Wissenschaftspolitik, waren zwar nicht einfalls-, aber wirkungslos. Es sah aus, als hätte sich die CDU ihrem Schicksal und der Übermacht des Bürgermeisters ergeben. Ein Eindruck, der sich auf alle bisherigen Oppositionsparteien erstreckt – mit Ausnahme der Linken, deren Strategie als Anti-Regierungspartei sich auszahlt. Die anderen müssen sich Gedanken machen, warum sie sich an diesem Sonntag nur wenig oder gar nicht im Vergleich zu 2011 verbessert haben. Ein sehr gutes Zeugnis für die Arbeit in der Bürgerschaft sieht auf jeden Fall anders aus.
Neben der CDU hatten sich offensichtlich auch die Grünen im großen Schatten des Bürgermeisters bequem eingerichtet – immer im Hinterkopf, dass er bei der nächsten Wahl nicht noch einmal so gut abschneiden und dann auf den geborenen Koalitionspartner zurückgreifen würde. So eine Grundeinstellung führt zwangsläufig in die Defensive.
So lustig sich die großen Parteien im Vorfeld der Wahl über die Kampagne der FDP um Spitzenkandidatin Katja Suding gemacht haben, so neidisch werden sie jetzt auf deren Entwicklung schielen. Denn dass die Liberalen so locker in die Bürgerschaft gekommen sind, ist ein politisches Wunder. Und schon in wenigen Tagen beziehungsweise Wochen wird niemanden mehr interessieren, wie es dazu gekommen ist, welche Rolle Kameraschwenks auf Politikerinnenbeine oder Fotos in Klatschzeitschriften gespielt haben. In der Politik ist es wie im Fußball: Entscheidend ist, dass man die Tore macht. Katja Suding kann für sich verbuchen, den stärksten, den auffälligsten Wahlkampf verantwortet zu haben, aber ihre größte Stärke war etwas anderes: Das unglaubliche Selbstbewusstsein, die FDP von zwei auf mehr als fünf Prozent führen zu können.
Das ist ihr großes Verdienst, aber ein wenig des Erfolges hat sie auch Scholz zu verdanken: Dessen „Drohung“ mit einer rot-grünen Koalition wird für nicht wenige Hamburger ein Grund gewesen sein, FDP zu wählen. Unabhängig davon, dass der Bürgermeister eine Regierungsbildung mit Suding am Ende sogar ausschloss. Das hat an Scholz’ Traum von der weiteren Alleinherrschaft gelegen, den er nun wegen der Alternative für Deutschland aufgeben muss. Die AfD hat mit ihrem ersten Einzug in ein westdeutsches Parlament bewiesen, dass Hamburg ein gutes Feld für Protestwähler bleibt.
Die Grünen werden bei den demnächst beginnenden Koalitionsverhandlungen mit dem Gedanken leben müssen, dass sie ihre neue Macht ausgerechnet der AfD zu verdanken haben. Es steht außer Frage, dass Olaf Scholz als erstes mit seinem Lieblingspartner sprechen und viel dafür tun wird, dass Rot-Grün zustande kommt. Aber auch nicht alles – zumal mit der CDU von der Postenverteilung her eine ähnliche Koalition wie mit den Grünen möglich wäre.
Bleibt, wie nach jeder Wahl, die Enttäuschung über die Wahlbeteiligung. In Hamburg kann man daran etwas ändern – mit einem anderen, weniger komplizierten Wahlrecht.