Bundesverwaltungsgericht schränkt Sonntagsarbeit ein – auch zum Wohl der Wirtschaft
„Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“ So steht es im Grundgesetz. Mit gutem Grund. Denn seit es die Siebentagewoche gibt, vermutlich erstmals von den Babyloniern anhand der vier Mondphasen berechnet, gibt es auch einen arbeitsfreien Tag. Wahrscheinlich ist die Erkenntnis, dass der Mensch neben dem täglichen Schaffen auch einer Phase der Einkehr und der Regeneration bedarf, so alt wie die menschliche Arbeit selbst. Martin Luther betont im „Großen Katechismus“ nicht nur die Pflicht zu sonntäglichem Kirchgang und Gotteslob, sondern schreibt auch: „Denn die Natur lehrt und fordert das für das einfache Volk, für Knechte und Mägde, die die ganze Woche ihrer Arbeit und ihrem Geschäft nachgegangen sind, dass sie sich auch einen Tag lang zurückziehen, um sich auszuruhen und zu erquicken.“
Doch seit es arbeitsfreie Tage gibt, sind sie immer wieder in Gefahr: vorwiegend aus rein ökonomischen Erwägungen heraus. So war es etwa während der industriellen Revolution, als die teuren neuen Maschinen besser ausgelastet werden sollten, Menschen an sieben Tagen in der Woche in drei Schichten arbeiteten und entsprechend auch die Geschäfte geöffnet hatten. Und so ist es auch in unseren Tagen wieder, an denen der Sonntag für immer weniger Menschen der „seelischen Ergebung“ dient. Dafür werden immer mehr Geschäftsmöglichkeiten gesehen. Ganz ohne Sonntagsarbeit kommt eine moderne Gesellschaft natürlich nicht aus. Menschen werden auch sonntags krank, wollen von A nach B fahren, essen und trinken, sich unterhalten lassen. Deshalb hat der Gesetzgeber genau definierte Ausnahmen vom Arbeitsverbot am Sonntag zugelassen. Zusätzlich haben die Bundesländer die Möglichkeit, per Bedarfsverordnungen weitergehende Ausnahmen zu genehmigen, „für Betriebe, in denen die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- oder Feiertagen zur Befriedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung erforderlich ist“. Eine dehnbare Formulierung.
In Hamburg etwa gibt es Ausnahmen für Blumengeschäfte, Parkhäuser, Bestatter, Wettbüros, Friseure an Bahnhöfen und Flugplätzen, Immobilienmakler und im Sommer Eis- und Getränkeproduzenten. Die gröbsten Auswüchse der hessischen Verordnung – die übrigens auch in Hamburg geltenden Ausnahmen für Videotheken, Callcenter und Lotto-Annahmestellen – haben die Leipziger Bundesverwaltungsrichter jetzt für nichtig erklärt. Und das ist gut so. Nicht, weil es deutschen Arbeitnehmern an Freizeit mangeln würde. Die ist durch das Arbeitszeitgesetz garantiert. Was bedroht ist, ist das Kulturgut Sonntag, der Tag für Familie und Freunde, für den Gottesdienst oder schlicht für das regelmäßige Innehalten. Der allgemeine und landesweite freie Tag hat einen anderen Charakter als einfach ein Tag, an dem man nicht arbeiten muss. Zudem kann bezweifelt werden, dass sich Umsätze noch wesentlich steigern lassen oder sich die Lebensqualität erhöht, wenn man am Sonntag Lotto spielen kann. Die Ladenöffnungszeiten sind in den meisten Bundesländern an Werktagen völlig freigegeben. Handel und Verbraucher haben sich darauf eingestellt – und schöpfen im gegenseitigen Einvernehmen nicht die vollen Möglichkeiten aus, die ihnen die Gesetze bieten. Bei den einen ist die Kaufkraft begrenzt, bei den anderen sind es die Gewinnmöglichkeiten. Und würde der Sonntag weiter mit immer mehr Ausnahmeregelungen untergraben, verlöre er übrigens auch für die Wirtschaft an Reiz und Gewinnmöglichkeiten.
Das sollte eingedenk religiöser Bedürfnisse, uralter Menschheitserfahrungen und selbst im Sinne der Wirtschaft verhindert werden.