Partei sucht auf ihrem Parteitag in Hamburg nach Orientierung und neuen Zielen
„Mehr Biss. Grün.“ lautet das Motte des Parteitages in Hamburg. Ein Slogan nicht ohne Selbstironie bei einer Partei, die gern einmal mit volkspädagogischen Vorschlägen wie dem für einen Veggie Day auffällt. Und dann wollen sie auch noch alles besser machen, statt besser zu wissen, wie ihr Bundesgeschäftsführer Michael Kellner im Vorfeld des Kongresses postulierte.
Mit dem Bessermachen könnten sie praktischerweise in der eigenen Partei beginnen. Zwar sind die Grünen auf Landesebene derzeit stark wie nie. Wählt der Thüringer Landtag nach dem Abschluss des rot-rot-grünen Koalitionsvertrages Bodo Ramelow am 5. Dezember mit grüner Hilfe zum ersten Ministerpräsidenten der Linken, ist die Partei dann an acht Landesregierungen beteiligt – inklusive eines eigenen Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg.
Aber selbst der Vorzeige-Grüne Winfried Kretschmann ist eines der – hausgemachten – Probleme der Partei. Vielen Linken regiert er in Stuttgart viel zu pragmatisch. Seine Zustimmung zum Asylkompromiss der Großen Koalition im Bundesrat wird ihm übel genommen. Und nun will er die Basis auch noch davon überzeugen, dass die Grünen der „neue Partner der Wirtschaft“ sein müssten. Das Erbe der im Wachkoma liegenden Liberalen wollen viele Grüne nicht einmal teilweise antreten. Und der Altlinke der Partei, Jürgen Trittin, vermutet im Südwesten des Landes gar ein grünes Waziristan, das Rückzugsgebiet wild entschlossener Realos, die offensichtlich mehr an tragfähigen Lösungen als an der reinen Parteilehre interessiert sind.
Was aber ist im Moment die reine Lehre? Spitzengrüne treten für Waffenlieferungen an die Kurden für deren Kampf gegen die IS-Terroristen ein. Die Fraktion hat diese mehrheitlich im Bundestag abgelehnt. In der Steuerpolitik lassen neue Ansätze nach der Erhöhungsorgie im vergangenen Bundestagswahlkampf auf sich warten. Die Widersprüche manifestieren sich auch im Führungspersonal. Die Parteivorsitzenden Cem Özdemir, Realo aus dem parteieigenen Waziristan, und seine linke Co-Chefin Simone Peter aus dem Saarland sind sich in Sachfragen selten bis nie einig, dafür aber in tiefster persönlicher Abneigung herzlich verbunden. Das sorgt für Verwirrung in der Öffentlichkeit und für Unmut in der Partei.
Die Unzufriedenheit mit dem Führungsduo in der Bundestagsfraktion aus Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter ist nicht minder groß. Göring-Eckardt ist vielen zu blass und zu beliebig in ihren Positionen. Hofreiters ungelenke und von strategischen Visionen völlig befreiten Auftritte machen ihn und die Partei nicht populärer. In der Partei kursieren bereits Planspiele für einen Personalaustausch. Wahlen stehen aber nicht an diesem Wochenende in Hamburg, sondern erst in einem Jahr an.
Wollen die Grünen bis dahin ihre Ziele, klare Kante als Oppositionspartei im Bundestag, zeigen und bei der nächsten Bundestagswahl 2017 mehr als die zuletzt blamablen 8,4 Prozent dennoch erreichen, bedarf es eines kleinen Wunders: Die streitenden Parteiflügel sowie die untereinander und mit der Bundesführung verkrachten Landesverbände müssten ihre Kleinkriege auf das Maß normaler innerparteilicher Meinungsfindung deeskalieren. Und die vierköpfige Führungsspitze müsste quasi wie Phönix aus der Asche erstehen.
Beides ist unwahrscheinlich. Und so wird es in Hamburg viele lebhafte bis turbulente Debatten und nur ganz wenig Neuorientierung geben, nach der die Grünen nun schon seit der verlorenen Bundestagswahl im vergangenen Jahr vergeblich suchen. Einen führungslosen Schlingerkurs kann sich aber eine Partei, die dank ihrer Macht über den Bundesrat mehr als nur eine schlichte Oppositionskraft ist, auf Dauer nicht leisten.