Die Geschichte von Hase und Igel wiederholt sich – in Hamburgs Politik
Manchmal muss sich die Opposition fühlen wie der Hase in dem plattdeutschen Märchen „De Haas un de Swienegel“. Der Inhalt ist so bekannt wie schnell erzählt: Hase und Igel verabreden einen Wettlauf, bei dem der Hase hetzt, der Igel aber nur seine Frau am Ziel postiert, die dem heranstürmenden Hasen entgegenruft: „Ik bün al dor!“
Gestern war es wieder so weit: Die CDU hatte die Presse eingeladen, um ihre Forderungen für die Bürgerschaftswahl am 15. Februar 2015 vorzustellen. Ein Aspekt neben den zentralen Themen Verkehr und Wirtschaft war die Verbesserung des Betreuungsschlüssels in Kindergärten. 90 Minuten zuvor aber hatte die SPD schon die Ergebnisse ihrer Haushaltsklausur präsentiert. Eine zentrale Forderung: Qualitätsverbesserungen in Krippen und Kitas. Dazu soll im Krippenbereich der Personalschlüssel rasch um zehn Prozent verbessert werden. „Ik bün al dor!“
Kürzlich durften sich auch die Grünen als Hase fühlen – seit Jahren fordern sie Verbesserungen für Fahrradfahrer ein. Kurz vor der Wahl übernimmt die SPD ein paar grüne Ideen, plant plötzlich eine Fahrradstraße an der Alster, baut schnell das Stadtrad-System aus und setzt sich an die Spitze der Bewegung. Den Grünen bleibt nur der Frust und die etwas nölige Kritik, zu wenig an Elektro- oder Lastenfahrräder gedacht zu haben. Die SPD freut sich. „Ik bün al dor!“
Selbst die Piratenpartei, diese inzwischen fast vergessene Internet-Modepartei der Jahre 2011/2012, dient noch einmal als Hase: Ein freies WLAN-Netz gehörte immer zu den Kernforderungen der Piraten, nun macht die Hamburger SPD auf digital. „Ik bün al dor!“
Für diese Igel-Strategie bedarf es nicht einmal eines Doppelgängers wie im Märchen, dafür reicht die absolute Mehrheit. Die SPD kann abwarten und sondieren, wie sich Ideen der Opposition zu Tendenzen und Stimmungen verfestigen. Im Falle eines Falles übernimmt sie die Forderung einfach und gibt sie als die eigene aus. Das Schöne daran: Man kann sie im Senat gleich umsetzen.
Wo immer sich ein Thema abzeichnet, das die Opposition besetzen könnte, passt die SPD geschmeidig ihre Position an. Die Rote Flora wurde zurückgekauft, auch für Polizei und Feuerwehr soll nun mehr Geld übrig sein. Es ist Wahlkampf: Jede Wohltat der vergangenen Monate wird noch einmal wortreich und stolz präsentiert, und für ein paar Wahlgeschenke ist auch noch Platz.
Bei ihrer Haushaltsklausur haben die Sozialdemokraten gleich über 40 mehr oder minder teure Initiativen beschlossen. Auch die Hochschulen, die seit dem Brandbrief „In Sorge um Hamburg“ von Wolfgang Peiner, Klaus von Dohnanyi und Willfried Maier in der Diskussion stehen, werden bedacht: Bis 2020 sollen über eine Milliarde Euro in den Bau und die Sanierung der Wissenschaftseinrichtungen in Hamburg investiert werden. Man darf gespannt sein, wie viel davon nach der Wahl übrig bleibt. Heute aber sind die Sozialdemokraten auf ihre schärfsten Kritiker wieder einen Schritt zugegangen.
Olaf Scholz regiert wie in einer Großen Koalition – die praktischerweise aber nur aus einer Partei besteht, seiner Partei. Das soll auch nach der kommenden Bürgerschaftswahl so bleiben: Neben einer Fundamentalopposition der Linken, die sich in irrigen Forderungen wie einem Mindestlohn in Höhe von 13 Euro verliert, steht die SPD als Partei da, die problemlos auch grüne oder schwarze Ideen integrieren kann. Kontroversen werden einfach wegregiert.
In einem solchen Umfeld fällt es der Opposition schwer, ihre Anhänger zu mobilisieren. Schlimmer noch: Eine Wechselstimmung, die bislang fast jeden Regierungswechsel begleitet hat, sucht man in Hamburg vergeblich. Warum auch? „Ik bün al dor!“