Plan von Mehr Demokratie zur Verwaltungsreform sollte sachlich diskutiert werden
Es ist so weit: Hamburg geht unter. Zumindest wird es für immer unregierbar. Weimar an der Elbe! So oder so ähnlich fallen manche Reaktionen von Rathauspolitikern aus, weil ein 69 Jahre alter Obstbauer aus Moorburg mit seinem Verein mal wieder ein, zwei Volksinitiativen angekündigt hat. Geht es nach dem neuen Vorstoß von Manfred Brandt und Mehr Demokratie, dann soll die Hamburger Verfassung künftig nur noch geändert werden können, wenn es neben einer Zweidrittelmehrheit in der Bürgerschaft auch eine Zustimmung der Bürger in einem Referendum dafür gibt. So ist es auch in Hessen und Bayern, zwei Bundesländer, die zumindest bis Mittwoch noch nicht untergegangen waren.
Die weitaus größere Panik löst der zweite Plan des Vereins aus: Die Bezirke, bisher weitgehend machtlose Verwaltungseinheiten, sollen zu echten Kommunen werden. Statt im fernen Rathaus würde künftig vor Ort entschieden, welcher Verein einen Zuschuss bekommt oder vor welcher Schule eine Tempo-30-Zone eingerichtet wird. Gibt es eine Mehrheit der Bezirksversammlungen, sollen diese sogar das Recht erhalten, landesweite Referenden durchzuführen, die den Senat binden würden. Und: Die Bezirke sollen eigene Steuern erheben und Haushalte aufstellen können.
Das ist ein sehr weitreichender Vorschlag, dessen konkrete Ausgestaltung der Verein Mehr Demokratie in drei Wochen vorlegen will. Er würde faktisch das Groß-Hamburg-Gesetz (mehr als) rückgängig machen, mit dem die Nationalsozialisten 1937 in Hamburg auch die Gemeinden abgeschafft haben. Würden die Bezirke zu Kommunen, bräuchte Hamburg einen kommunalen Finanzausgleich. Es müssten große Teile des Verwaltungsapparates in die Bezirke verlagert werden. Das Ganze wäre ein riesiges Reformunternehmen, das viel Zeit und Energie benötigen und die politische Struktur Hamburgs radikal verändern würde. Ob es am Ende die Stadt als Ganze schwächen würde (was denkbar ist) oder im Gegenteil eine Stärkung der Bezirke allen nützt – das lässt sich heute noch nicht sagen. Dazu muss man das Vorhaben erst einmal – um ein Lieblingswort von Olaf Scholz zu benutzen – „sorgfältig“ prüfen und diskutieren.
Die nackte Panik, die mancher im Rathaus verbreitet, folgt übrigens auch egoistischen Motiven. Denn eine drastische Stärkung der Bezirke würde als Erstes die Machtgefüge innerhalb der Parteien verschieben. Parteipolitiker, die bisher weitgehend ohnmächtig in Bezirksversammlungen sitzen, würden einen massiven Machtzuwachs zulasten von Senat und Bürgerschaft erfahren. Während sie sich bisher die Kritik der Bürger anhören, ohne selbst viel verändern zu können, wären sie künftig in der Lage, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Sie könnten Gelder bewilligen und per Referenden die Landespolitik beeinflussen. Es ist nicht davon auszugehen, dass Bezirksabgeordnete es allesamt schlecht fänden, mehr Einfluss zu bekommen. Wahrscheinlicher ist es, dass bei der Beurteilung des Plans Risse quer durch alle Parteien gehen werden – zwischen Bezirks- und Landesebene.
Zur Wahrheit gehört übrigens auch, dass die Landespolitik seit Jahrzehnten eine Modernisierung der Verwaltungsstrukturen und eine echte Stärkung der Bezirke verspricht – sie aber nie umgesetzt hat. Da wirkt es einigermaßen wohlfeil, sich nun darüber aufzuregen, dass ein paar Bürger die Sache selbst in die Hand nehmen.
Im Übrigen: Sollte sich der Vorschlag als so grotesk und gefährlich erweisen, wie manche es schon zu wissen glauben – dann wird er niemals die Zweidrittelmehrheit bekommen, die er bräuchte. Kurzum: Hamburgs Politiker in Rathaus und Bezirken und seine mündigen Bürger sollten sachlich über den Vorschlag diskutieren. Panik und platte Parolen führen selten zu klugen Entscheidungen.