Waltraud Wendes Rücktritt – ein Lehrstück vom Scheitern einer Seiteneinsteigerin
Das Experiment ist gescheitert – wieder einmal. Und wieder einmal bedauern es alle. Waltraud „Wara“ Wende, parteilose Seiteneinsteigerin in die Politik, muss hinten aussteigen. Ein dünner Teppich aus Dankesworten wird ausgerollt, dann zieht das Kabinett weiter. Es fühlt sich erleichtert.
Wende ist Literaturwissenschaftlerin, über Goethe hat sie habilitiert. Goethe – das ist größtmögliche Distanz zur Politik. Aber Wende traut sich einiges zu. 2010, nach zehn Jahren an der Universität Groningen, bewirbt sie sich in Flensburg um den Präsidentenjob der dortigen Mini-Uni. Im Bildungsausschuss des Kieler Landtags hat sie später erzählt, wie das gelaufen ist. Sie sei eigentlich unvorbereitet gewesen und habe es einfach versucht, sagte sie. 2012 fragt Torsten Albig sie, ob sie im Falle eines Wahlsiegs der SPD Ministerin in Schleswig-Holstein werden wolle. Sie sagt zu, sie versucht es einfach. In Flensburg lässt sie sich eine Rückkehrvereinbarung zusammenschustern. Als es dabei hakt, schreibt sie den „Lieben Männern des Präsidiums“, dass das alles eigentlich ganz einfach sei. Und endet mit dem Satz: „Jetzt ist es an Euch/Ihnen zu entscheiden, wo ich demnächst Bildungspolitik machen werde.“ Ein Satz, aus dem fröhliche Naivität und Selbstüberschätzung spricht.
Immer begleitet von ihrem Terrier Volpino, macht Wende tatsächlich Bildungspolitik. Aber sie verzettelt sich auch. Aus dem neuen Schulgesetz streicht die Wissenschaftlerin die Begriffe „Bildungsziele“ und „Erziehungsziele“ heraus und ersetzt sie durch „pädagogische Ziele“. Großer Aufschrei. Große Veränderungen stehen in diesem Schulgesetz: Gymnasien sollen zukünftig nach acht Jahren zum Abitur führen, Gemeinschaftsschulen nach neun. Das passt nicht jedem. Wendes Wortklaubereien bieten da eine schöne Angriffsfläche. Das Große geht im Kleinen unter.
Die Opposition wird auf sie aufmerksam. Die Seiteneinsteigerin mit professoraler Arroganz lässt sich prima attackieren. Dann lässt die Staatsanwaltschaft Kiel die Muskeln spielen: Verdacht der Bestechung. Großer Auftritt mit großer Razzia. Wendes hochmütiger, unprofessioneller Kommentar: „Es wird sich herausstellen, dass schon die Annahme des Anfangsverdachtes zu Unrecht erfolgt ist.“
Wende kämpft. Sie gibt Interviews, sie verteilt Sonnenblumen an frisch eingestellte Lehrer. Die Presse hämt. Dennoch: Im Landtag scheitert ein Antrag auf Entlassung, weil die Koalition zu ihr steht. Aber die Unterstützung schwindet. Die Grünen finden, dass Wende zu viele gegen sich aufgebracht hat. Robert Habeck, der grüne Energiewendeminister, wird unwidersprochen mit dem Satz zitiert, das Festhalten an Wende sei ein Fehler. Und die SPD, die sie ausgesucht hat, denkt sich: Lohnt sich der Einsatz für eine, die nicht eine von uns ist?
Wende hört nicht hin. Sie will immer noch weitermachen. Merkt sie es nicht? Am Ende dürfte es Gespräche mit ihr gegeben haben. Wara, das hältst du nicht durch. Wara, du kennst das als Seiteneinsteigerin nicht. Es ist besser, wenn du jetzt zurücktrittst.
Am Freitag hat sie es getan. Torsten Albig hat noch einmal darauf hingewiesen, dass für Wende die Unschuldsvermutung gilt. Alle haben das schon gesagt in Kiel, auch die, die ihren Rücktritt gefordert haben. Der FDP-Mann Wolfgang Kubicki hat es besonders schön gesagt: „Frau Ministerin Wende darf nicht vorverurteilt werden. Aber sie darf auch nicht vorher freigesprochen werden.“
Wende ist noch nicht einmal angeklagt. Vielleicht wird sie es nie. Die Folgen ihres Wirkens sind indes klar. Erstens: Nach dem gescheiterten Wende-Experiment ist die Zeit der Seiteneinsteiger vorbei. Stallgeruch zählt: Britta Ernst kommt, die Frau von Olaf Scholz. Zweitens: Für Politiker, die den Satz mit der Unschuldsvermutung benutzen, gilt in Zukunft gerade nicht die Unschuldsvermutung.