Der SPD-Chef macht Europapolitik gegen Merkel

Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein Einlenken: SPD-Chef Sigmar Gabriel hat seinen Parteifreund, den ehrgeizigen Martin Schulz, zurückgepfiffen. Der ehemalige Bürgermeister von Würselen und unterlegene Spitzenkandidat bei der Europawahl brachte sich selbst als EU-Kommissar ins Gespräch – nun wird er sich mit seinem alten Posten des Parlamentspräsidenten zufriedengeben müssen.

Gabriel wäre aber nicht Gabriel, wenn er das Zugeständnis nicht mit einer Forderung an Kanzlerin Angela Merkel verknüpfen würde: Ein CDU-Politiker könne nur dann Kommissar werden, wenn Schulz Parlamentspräsident werde. Damit steigt zugleich der Druck auf Merkel, den umstrittenen Wahlsieger Jean-Claude Juncker als Kommissionschef zu akzeptieren. Der Luxemburger kandidiert zwar als Konservativer, schwimmt programmatisch aber auf sozialdemokratischer Linie. Die Personalie Juncker birgt zwei Probleme für die deutsche Kanzlerin: Er ist den Briten nicht vermittelbar und gilt als Fürsprecher der Umverteilung zur Lösung der Euro-Krise. So kämpfte Juncker lange für die Vergemeinschaftung der Schulden über gemeinsame Euro-Bonds.

In diesem Zusammenhang sind auch Gabriels Einlassungen zur Europapolitik zu lesen. Gemeinsam mit dem französischen Präsidenten François Hollande und Italiens Ministerpräsidenten Matteo Renzi fordert er mehr „Flexibilität“ bei den Kriterien des Stabilitätspakts und positioniert die Bundesregierung damit neu. In der Sache lässt sich darüber streiten, in der Wirkung kaum: Angela Merkels Ansehen und der Erfolg der CDU bei Wahlen gründet auf ihrem Ruf als „eiserne Kanzlerin“, die im Sinne deutscher Steuerzahler den Krisenstaaten Reformen erfolgreich abverlangt. Mit dem Duo Juncker/Schulz und der sozialdemokratischen Allianz wird dieser Kampf schwieriger – zumal in der Bundesrepublik die „Alternative für Deutschland“ der Union gefährlich werden kann. Merkel gerät von zwei Seiten unter Druck.

Gabriel durchschaut das Dilemma der Kanzlerin, wagt sich zwei Schritte vor und geht dann höchstens einen zurück. Für Merkel ist das Regieren ungemütlicher geworden.