Die neue Infrastruktur für die Energiewende stellt hohe Anforderungen an uns alle.
Bei der deutschen Infrastruktur ist eine interessante Parallelentwicklung zu beobachten: Großprojekte wie der Flughafen Berlin Brandenburg, die längst genehmigt sind, drohen an der Unfähigkeit ihrer Erbauer zu scheitern. Vorhaben hingegen wie der Bahnhof Stuttgart 21 oder die Elbvertiefung, deren technologische Umsetzung vielleicht nicht einmal Berlins Flughafenkonstrukteure überfordern würde, werden von Bürgern und deren Initiativen mit Menschenketten oder juristischen Offensiven blockiert.
In welche Kategorie wird wohl die Energiewende mit ihren wichtigsten Projekten fallen? Die geplante Strom-Fernleitung SuedLink, die der Netzbetreiber TenneT von Wilster in Schleswig-Holstein 600 Kilometer weit südlich nach Grafenrheinfeld in Bayern bauen will, könnte unter beiden Gesichtspunkten scheitern: Die Gleichstromtechnologie zur Fernübertragung von Strom wurde in dieser Größenordnung in Deutschland bislang noch nie realisiert. Und längs der geplanten Trasse spannen Bürgerinitiativen ihre Büchsen, um dem eigenen Widerstand gegen eine neue Stromleitung in Sichtweite so laut wie möglich Nachdruck zu verleihen.
Wer ein modernes Deutschland will, sollte bedenken, dass die Infrastruktur dieses Landes seit der deutschen Einheit nicht mehr so umfassend neu gestaltet werden musste. Bei den Verkehrswegen – vor allem bei Bundes- und Landstraßen, bei Brücken und Schleusen – herrscht akuter Handlungsdruck. Zugleich schickt sich Deutschland an, den umfassendsten Umbau der Energieversorgung zu realisieren, den je ein modernes Industrieland in Angriff genommen hat. Für diese Mammutaufgaben bräuchte das Land ein eigenes Infrastrukturministerium und einen Krisenmanager vom Format eines Helmut Schmidt. Doch für die Infrastruktur ist ausgerechnet Alexander Dobrindt (CSU) wesentlich verantwortlich, der neue Bundesverkehrsminister aus Bayern, der bislang vor allem mit politischer Bierzeltfolklore und der Forderung nach einer Pkw-Maut für Ausländer auf deutschen Autobahnen öffentlich auffällig wurde.
Die kommenden zehn Jahre entscheiden darüber, ob Deutschlands Infrastruktur wieder die modernste und leistungsfähigste der Welt wird oder ob sich Europas größte Volkswirtschaft in den Fallstricken der anstehenden Großprojekte heillos verheddert. Alle, die an diesen Vorhaben beteiligt sind, sollten sich in Disziplin üben: die Politik, die eine vernünftige Kommunikation und eine sichere Finanzierung gewährleisten muss, die Planungsbehörden, die unter großen Sonderbelastungen stehen werden. Vor allem aber die Bürger, die in der Nähe großer Bauvorhaben wohnen und die sich dieser Verantwortung bewusst sein müssen. Nein zu sagen, Widerstand zu organisieren, Projekte zu verzögern kostet wenig. Der vermeintlich eigene Vorteil aber könnte an vielen Hundert Orten in Deutschland in den kommenden Jahren erkauft werden mit Schäden für das gesamte Land. Dies gilt es abzuwägen, in jedem Dorf und in jeder Gemeinde, jedem Rathaus und jeder Stadthalle.
Nach der deutschen Einheit wurde die Infrastruktur der ehemaligen DDR in einer gemeinsamen Kraftanstrengung aller Bürger komplett erneuert. Etliche Menschen vor allem in Westdeutschland hielten den „Soli“, die neue Sondersteuer für den Osten, für ein Fass ohne Boden. Heute sieht man: Neue Verkehrswege und Stromleitungen, neue Innenstädte und Gewerbegebiete bilden das Fundament dafür, dass Ostdeutschland zu den modernsten Regionen Europas zählt. So könnte es zur Mitte des kommenden Jahrzehnts im gesamten Land aussehen. Vorausgesetzt, die Mehrheit der Deutschen zieht bei den großen anstehenden Vorhaben an einem Strang.