Fragen zu Sexualität und Religion gehören nicht in einen Zensus.
Hamburg. Wie viele sind wir? Und wo? Und wie leben wir? Und mit wem? Es sind nicht die Fragen nach dem Sinn, sondern die nach der Art des Lebens, die Statistiker mit dem heute anlaufenden Zensus klären wollen. Die Inventur der Deutschen hat begonnen. Und ein politischer Aufschrei ist kaum zu vernehmen.
Warum eigentlich nicht? Der Staat will Dinge wissen, die ihn schlicht nichts angehen. Welcher Religion ich angehöre, soll ich offenbaren. Wozu? Ob ich mich zu diesem Glauben bekenne, soll ich antworten (wenn auch freiwillig). Was soll das? Ob ich in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebe, will man wissen. Das ist reine Privatsache.
Mit solch überflüssigen Fragen setzt sich der Staat dem Vorwurf der Datensammelwut aus. Und es werden wieder Erinnerungen wach an die 1980er-Jahre, als Deutschland-West das Schlimmste unterstellt wurde. Die Wahrnehmung damals: der Staat - ein Gegner seiner Bürger. Als Beleg galt die Volkszählung von 1987. Vom gläsernen Menschen war da die Rede, von Big Brother, der das Volk bis in die privatesten Dinge hinein überwache.
Der Widerstand Zehntausender gegen die Volkszählung hat rückblickend allerdings irrationale Züge. Heute hinterlassen wir alle Spuren, die noch weit über die Datensammlung der 80er-Jahre hinausgehen. Und damit ist nicht nur die freiwillige Selbstentblößung in den sozialen Netzwerken gemeint. Wie selbstverständlich zahlen wir mit EC- oder Kreditkarten, hinterlassen mit unseren Smartphones geldwerte Informationen bei den Telefonanbietern, surfen im weltweiten Netz, sodass Google mehr von uns weiß als die Nachbarn, oder geben über fragwürdige Preisausschreiben intime Daten preis.
So ist der ausbleibende Aufschrei gegen die Inventur eigentlich nur konsequent, das Verständnis für ein Informationsbedürfnis des Staates überwiegt sogar. Wenn Hamburg perspektivisch genügend Schulen bauen und Lehrer einstellen will, muss es die Altersstruktur kennen, die Zahl der Kinder erfahren und wissen, wie sich die Menschen in der Stadt verteilen. Das gilt analog beispielsweise für die Verpflichtungen der Stadt gegenüber älteren Mitbürgern. Die Zahlen der Meldeämter reichen dafür nicht.
Eigentlich ist das Verständnis für den Zensus da. Die Volkszähler setzen es aber durch ihre Grenzüberschreitung leichtfertig aufs Spiel.