Der demokratische Präsidentschaftskandidat Michael Dukakis wurde 1988 im TV-Duell mit George Bush sen. gefragt, was er tun würde, wenn seine Frau vergewaltigt und ermordet würde. Dukakis argumentierte emotionslos und kühl gegen die Todesstrafe.
Ein entscheidender Moment - die Wähler wandten sich von ihm ab, Bush wurde Präsident. Die Berater des Verlierers waren sich hinterher einig. Die richtige Antwort wäre gewesen: "Wenn meiner Frau so etwas passieren würde, würde alles in mir schreien: Töte das Schwein, das ihr das angetan hat! Dann wäre ich froh, dass Menschen um mich herum sind, die mich davon abhalten. Denn Auge um Auge ist unmenschlich."
Fragen wir uns: Was würden wir tun, wenn nicht der Junge Mel dem 16-jährigen Elias auf dem Bahnsteig am Jungfernstieg begegnet wäre, sondern unsere Tochter, unser Sohn? Wut, Trauer, Hass - das alles wäre in uns. Und natürlich die Frage: Warum hat niemand das Opfer beschützt? Aber etwas in uns würde auch sagen: Der Täter ist 16, fast noch ein Kind. Warum hat ihn niemand abgehalten? Das ist nicht zu liberal, zu links oder zu naiv. Es führt vielmehr direkt zur Lehre aus dem Fall Elias.
Sicher lassen sich nicht alle schicksalhaften Begegnungen und nicht jede Straftat durch Prävention verhindern. Aber wir reden hier auch nicht über alle Taten. Wir reden über einen Totschlag im HVV-Bereich. Dort also, wo zuletzt die Verbrechen geschahen, die Schlagzeilen machten: Mel am Bahnsteig, Marcel im Bus. Da wirkt der Verweis der Hochbahn auf die Statistik zynisch, wonach 97 Prozent aller Gewalttaten nicht in ihrem Verantwortungsbereich passieren.
Der schnelle Fahndungserfolg im Fall Elias zeigt, dass die Bilder aus Videokameras helfen, Täter zu fassen. Aber Kameras können nicht eingreifen, bevor etwas passiert. Sie können nicht für Ordnung sorgen, Streit schlichten und Platzverweise aussprechen. Das können nur Menschen, Ordner oder, um es altmodisch zu sagen, Schutzmänner. Sie müssen zurück auf die Bahnsteige und endlich in alle Züge und Busse. Nicht martialisch in Uniform, sondern als Sicherheits- und Servicekräfte, die auf Bürger aufpassen, ansprechbar sind und andere Bürger von unbürgerlichem Verhalten abhalten. Kurz: Hamburger für Hamburger. Die Lehre vom Jungfernstieg lautet: Die bisherigen Sicherheitsinitiativen sind lobenswert, gehen aber nach dem Fall Elias nicht weit genug.
Und wer soll das in der Zeit leerer Kassen bezahlen? Erstens: Es ist im besten Sinne gut angelegtes Geld, weil Sicherheit die Grundlage für Freiheit ist. Und zweitens: Die meisten Hamburger würden sicher ein paar Cent mehr für ein HVV-Ticket zahlen, wenn sie und ihre Kinder durch den "Sicherheits-Soli" sicherer wären.