Der Messerstecher Elias A. wartete seit Monaten auf einen Prozess. SPD bringt Thema vor den Innenausschuss
Der Innensenator geht im Fall des im Bahnhof Jungfernstieg erstochenen jungen Mannes mit Kritik an der Justiz in die Offensive. "Ich frage mich schon, wie es angehen kann, dass ein Jugendlicher, der seit Jahren als gemeingefährlich gilt und eine schwere Straftat nach der anderen begeht, nicht schon längst hinter Schloss und Riegel sitzt", sagte Christoph Ahlhaus.
Nach dem Messerangriff gehen Staatsanwaltschaft und Justiz davon aus, dass es nun schnell zu einem Prozess gegen den 16-Jährigen kommen wird. Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers: "Wir rechnen damit, dass die Anklage in sechs Wochen steht."
Auch bei Gericht könne es, so Sprecher Conrad Müller-Horn, schnell gehen. "Die durchschnittliche Verfahrensdauer bei Jugendschöffengerichten betrug in den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres 3,2 Monate", betonte er.
Am Freitag vergangener Woche hatte der erste 16-jährige Intensivtäter Elias A. den 19-jährigen Mel D. auf einem Bahnsteig der S-Bahnstation Jungfernstieg mit einem Klappmesser mit sechs Zentimeter Klingenlänge ins Herz gestochen. Das Opfer starb nach wenigen Minuten. Der Täter hat eine lange Vorstrafenliste, verurteilt wurde er aber nie.
Deshalb wird der Fall auch ein parlamentarisches Nachspiel haben. Die SPD-Fraktion hat beantragt, die Umstände der Bluttat, wie auch die Freilassung der Angeklagten im "20-Cent-Fall" auf der nächsten Sitzung des Innenausschusses zu behandeln. "Hier darf der Senat sich nicht hinter dem Datenschutz verstecken", forderten Innenexperte Andreas Dressel und Jugendexpertin Carola Veit.
Im Fall Elias A. hatte das zuständige Jugendgericht 2009 zwei separate Fälle zu einem Verfahren zusammengezogen. Sie sind noch nicht verhandelt. Der ältere Fall - eine versuchte gemeinschaftliche räuberische Erpressung - stammt aus dem vergangenen Sommer. Weil Anwälte zweimal Gelegenheit zur Stellungnahme erhielten und andere Fristen einzuhalten waren, ist der Fall bislang nicht terminiert.
Eine zu lange Zeit zwischen Tat und Prozess, kritisiert Kriminalpsychologe Prof. Rudolf Egg: "Wenn etwas präventiv wirkt, dann ist es nicht so sehr die Höhe der Sanktion, sondern die Unmittelbarkeit. Denn wenn ein sehr langer Zeitraum liegt zwischen dem, was Sie gemacht haben, und dem, was darauf folgt - dann ist auch gedanklich der Bezug nicht mehr da, dann ist das schon längst Vergangenheit." Die Hamburger Justiz müsse sich nun fragen lassen, "was in diesem Fall getan oder möglicherweise nicht getan wurde", sagte Egg. Der Intensivtäter sei schließlich bereits als Zehnjähriger zum ersten Mal auffällig geworden - "und, soweit ich das sehen kann, ist dann nichts Wirksames geschehen".
Elias A hat einen deutschen Pass, seine Eltern stammen aus Afghanistan. Damit gehört er zur Gruppe junger Männer mit Migrationshintergrund, denen Experten immer wieder höhere Gewaltbereitschaft zusprechen. Mit Zahlen untermauern lassen sich solche Aussagen kaum, denn aus der Kriminalitätsstatistik (PKS) geht das nicht hervor. Die Polizei unterscheidet nur zwischen Deutschen und Nichtdeutschen, der Migrationshintergrund deutscher Täter spielt keine Rolle.
Dennoch birgt die PKS interessante Aussagen: Von allen 71 126 Tatverdächtigen die die Polizei 2009 registrierte, hatten 29 Prozent keinen deutschen Pass. Der Anteil der tatverdächtigen Ausländer ist damit weitaus höher, als der Ausländeranteil an der Hamburger Bevölkerung, der vom Statistikamt mit 14 Prozent angegeben wird. Sie stellen sogar 31,1 Prozent der Verdächtigen betrachtet man die Gewaltkriminalität. Auf der anderen Seite gilt: Die in Hamburg lebenden Ausländer sind im Schnitt viel jünger als die Deutschen - und Jüngere werden unabhängig von Nationalitäten häufiger straffällig.
Sowohl Innensenator Ahlhaus als auch sein Vorgänger Udo Nagel hatten Ansätze gestartet, den Migrationshintergrund in die PKS aufzunehmen. Zu wissen, wo Straftäter herkommen und welchen kriminellen Hintergrund sie haben, helfe, frühzeitig auf Fehler bei der Integration einzugehen, hieß es. Beide Senatoren mussten jedoch zurückrudern. Ahlhaus zuletzt auf Druck des grünen Koalitionspartners. Dessen Innenexpertin Antje Möller kritisierte die Pläne als "populistisch", die Straftaten nicht verhinderten.
Die These, dass vor allem junge Menschen mit Migrationshintergrund zu Gewaltbereitschaft neigen, halten Experten wie Elena Wrede für gefährlich. "So werden schnell alle Migranten über einen Kamm geschert", sagt die Frau vom Awo-IntegrationsCenter Hamburg. Warum ein Jugendlicher gewalttätiges Verhalten zeige, "hat nicht nur mit der kulturellen Herkunft, sondern auch mit dem familiären und sozialen Hintergrund zu tun."
Wilfried Wilkens hingegen, ein Anti-Aggressions-Trainer, der mit inhaftierten Intensivstraftätern zusammenarbeitet, spricht in der "Welt" davon, dass "Jugendliche aus muslimisch geprägten Elternhäusern anfälliger und auch auffälliger in Bezug auf die Anwendung von Gewalt" seien. "Sie wachsen zwischen zwei Kulturen auf, finden jedoch in keiner wirklich Halt und Bestätigung."