Selten wurde in Finanzkreisen so martialisch argumentiert. Der deutsche Chef-Finanzaufseher Jochen Sanio sieht die Euro-Zone im “Krieg mit internationalen Spekulanten“, die Börsenlegende Warren Buffett bezeichnet die Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps) als “finanzielle Massenvernichtungswaffen“.
Seit den traurigen Bildern von Athen ahnt man, dass es um mehr als um besonders eindrucksvolle Rhetorik geht. Längst hat die Euro-Krise die Finanzmärkte verlassen und die gesamte Gesellschaft infiziert, längst erzittern neben den Börsen die Demokratien. Und längst geht es nicht mehr nur um Gewinne und Verluste in der Bilanz, sondern um die Zukunft der Marktwirtschaft.
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und beschleunigt durch den Fall der Mauer hat die Marktwirtschaft rund um den Globus einen Siegeszug gefeiert, den Wohlstand der Menschen gesteigert und viele Gesellschaften vorangebracht. Zu diesem Erfolg haben freie Märkte und Spekulanten beigetragen. Auch im nun diskutierten Fall der Spekulation gegen Griechenland dürfen nicht Ursache und Wirkung verdreht werden. Auslöser der Krise waren die haarsträubende Misswirtschaft in Athen und die mangelnde Kontrolle durch die EU. Und doch zeigt der Fall, dass der Markt aus dem Lot geraten ist und Gefahr läuft, sich zu Tode zu siegen. Inzwischen werden zweistellige Billionensummen bewegt, ohne Kontrolle, ohne Regulierung, ohne Verantwortung. Während die Regierungen als Regulativ im nationalen Denken verharren, hat sich die Welt der Investmentbanken und Hedgefonds globalisiert. Während die Spieler immer größer werden, werden die Schiedsrichter immer schwächer.
Die Rettung in der ersten Finanzkrise nach dem Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers - finanziert von Staaten und Steuerzahlern - gebiert nun die nächste Krise. Auf der einen Seite hat sie die Zinsen gen null gedrückt, was die Spekulation anfacht, zum anderen hat sich an den Märkten bei den Spielern eine Vollkaskomentalität durchgesetzt. Weil die Banken zu groß zum Scheitern sind, können sie noch ungehemmter ein großes Rad drehen.
Die Politik kann nur noch zuschauen und versuchen, die Brandherde mit einem Geldteppich zu ersticken. Denn die historische Chance, direkt in der Krise die Märkte zu regulieren, wurde verpasst. Längst regieren wieder nationale Egoismen in Großbritannien und den USA, die sich um ihre "Finanzindustrie" sorgen. Diese kleinkarierte Standortpolitik übersieht aber, dass die Spekulation keine nationalen Sentimentalitäten kennt, sondern vor allem das strategische Interesse Rendite verfolgt. Da liegt es nahe, dass die Welle sich bald nicht mehr allein gegen Griechenland, Portugal, Spanien oder gegen die Euro-Zone richtet, sondern direkt gegen das Vereinigte Königreich oder die Vereinigten Staaten. Auch deren Finanzlage ist verheerend: Das Haushaltsdefizit der Griechen soll 2010 unter zehn Prozent landen, während es in Großbritannien bei zwölf Prozent und in den USA bei 10,6 Prozent liegt. Gleichzeitig hat die Griechenland-Krise gezeigt, wie schnell die schlimmsten Pessimisten recht bekamen.
Vieles spricht dafür, dass die Weltkonjunktur in eine zweite Rezession rutscht, wenn die Griechenland-Krise nicht schnell eingefriedet wird. Auf nationaler Ebene wird dieses Problem nicht zu lösen sein, sondern nur auf Ebene eines G20-Gipfels. Insellösungen wie ein Verbot von Kreditversicherungen, Beschränkungen für Ratingagenturen oder neue symbolische Bonisteuern führen nicht allein zum Ziel. Es geht, wie Sanio fordert, um einen Generalangriff auf den Schatten-Finanzsektor. Noch einmal werden die Steuerzahler nicht die Rechnung der Spekulanten begleichen können. Heute geht es nicht mehr um die Beschränkung der Märkte, sondern um die Rettung der sozialen Marktwirtschaft.