Hamburg. Die Sendung soll Sparmaßnahmen zum Opfer fallen. Einen offenen Brief an den Intendanten haben prominente Autoren unterzeichnet.

Es ist die älteste Literatursendung im deutschen Fernsehen und erfreut sich, auch wenn sie lediglich im Spätprogramm läuft, großer Beliebtheit. Doch jetzt soll das NDR-„Bücherjournal“ ersatzlos gestrichen werden. Und zwar im Zuge der Sparmaßnahmen, die der öffentlich-rechtliche Sender angekündigt hat — um 300 Millionen Euro sollen in den kommenden Jahren die Ausgaben abgespeckt werden. Einsparpotenzial sieht der Sender überall im Programm, die Kürzungen betreffen alle Redaktionen und neben dem „Bücherjournal“ beispielsweise auch das NDR-„Kulturjournal“ insgesamt. Gegen die Pläne regt sich nun auch in der Kulturszene Widerstand.

Gleich mehrere Protestnoten gingen dieser Tage bei NDR-Intendant Joachim Knuth ein. Neben dem Schreiben des in Frankfurt ansässigen Börsenvereins des Deutschen Buchhandels ist da vor allem ein vom Hamburger Literaturhaus und seinem Leiter Rainer Moritz initiierter offener Brief  zu nennen.Er stammt von mehr als 100 Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern, unter ihnen Autorinnen und Autoren wie Isabel Bogdan, Kirsten Boie, Ulla Hahn, Inger-Maria Mahlke und Saša Stanišić, Verleger wie Florian Illies (Rowohlt), Jo Lendle (Hanser) und Daniel Beskos (Maurisch), Künstler wie Christoph von Dohnanyi und Ulrich Tukur.

Offener Brief: Protest gegen Einstellung des NDR-Bücherjournals

In ihrem Schreiben verleihen die Unterzeichner ihrem „Entsetzen“ über die Einstellungspläne unmissverständlich und in deutlichen Worten Ausdruck — „wir halten das für eine folgenreiche Fehlentscheidung, von der ein fatales Signal ausgeht“, heißt es. Bevor sie ihn „energisch“ auffordern, „diese Entscheidung rückgängig zu machen“, erinnern die Unterzeichner NDR-Intendant Knuth an „den Kulturauftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten“. Und außerdem daran, dass derzeit, bedingt durch die Coronakrise, etliche Buchhandlungen, Verlage und Kultureinrichtungen vor dem finanziellen Aus stünden.

Insbesondere jetzt käme es darauf an, „den Stellenwert von Büchern stärker denn je herauszustellen“. Zuletzt sei „allenthalben darum gekämpft“ worden, „dass die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie das kulturelle Leben nicht dauerhaft zerstören und der Wert von Bildung, Leseförderung, Kunst und Kultur anerkannt bleibt“. Die angekündigte Einstellung des „Bücherjournals“ spräche „diesen Anstrengungen hohn und trägt zur Zerstörung unseres kulturellen Lebens bei“.

„Bücherjournal“ wurde erstmals 1972 ausgestrahlt

Also deutlicher Missmut und ein vehementer Appell; der offene Brief zeigt neben der Wut der Literaturbranche auch klar den Stellenwert, den das Magazin für das literarische Leben hat. Das aktuell von Julia Westlake moderierte „Bücherjournal“ wurde erstmals im Jahr 1972 ausgestrahlt. Um genau zu sein: am 11. Mai, damals um 16.45 Uhr. Im Laufe der Jahre hat das Magazin häufig den Sendeplatz gewechselt und war auch im Ersten zu sehen. In den 1980er-Jahren lief es teilweise zur besten Sendezeit, das zeugt unter anderem davon, dass Bücher auch mal noch angesagter waren als heute. Die Themen der allerersten Ausgabe waren unter anderem Peter Handkes „Kurzer Brief zum langen Abschied"; Max Frischs neues „Tagebuch" und Frederick Forsyths „Der Schakal“.

Derzeit ist das „Bücherjournal“ sechsmal im Jahr zu sehen, immer im Spätprogramm. Vorgestellt werden immer noch meist Novitäten, sowohl Romane als auch Sachbücher. In der Disziplin „Literarische Rezension im Bewegtbild“ ist die Sendung hervorragend bestückt: Was daran liegt, dass sie sich in den Kultursendungen anderer ARD-Anstalten frei bedienen kann. Das Programm  lässt die leichtere Unterhaltung à la Grisham genauso zu ihrem Recht kommen wie Anspruchsvolleres etwa aus der Feder von Buchpreisgewinnern.

"Freie im NDR" stellen kritische Nachfragen an Knuth

Neben dem kulturellen Verlust stehen ab sofort auch bedrohte Arbeitsplätze und wegfallende Aufträge für freie Mitarbeiter im Mittelpunkt. Auch beim „Bücherjournal“ sind freie Journalisten beschäftigt, sie haben mit ihren Kollegen aus anderen NDR-Abteilungen als Interessengruppe „Freie im NDR“ und gemeinsam mit Verdi und dem Deutschen Journalistenverband zuletzt kritische Nachfragen an Intendant Knuth formuliert, in denen es vor allem um „mangelnde Transparenz“, das Ausbleiben von „sozialer Verantwortung“ für zahlreiche frei beschäftigte Journalisten, Kameraleute und Cutter, aber auch um eine angeblich fehlende digitale Strategie geht.

Der NDR will seine Reichweite künftig vor allem online steigern. Mit den Sparmaßnahmen wurde gleichzeitig eher wolkig davon gesprochen, dass Angebote wie „Zapp" und das „Kulturjournal" mit Blick auf die veränderte Mediennutzung „ihre Inhalte  in Online-Angebote und digitale Verbreitung“ verlagern sollten.

NDR streicht „Bücherjournal“: Regisseurin ist geschockt

Die freie Journalistin Natascha Geier führt seit vielen Jahren Regie beim „Bücherjournal“. Sie sei geschockt gewesen, als sie in der vergangenen Woche vom Ende der Sendung erfahren habe, sagte Geier dem Abendblatt, „auch beim NDR scheint Kultur nur eine kleine Lobby zu haben“.

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Dass das „Kulturjournal“ künftig seine Aktivitäten ins Digitale verlagern soll, stimmt sie nicht nur persönlich — „Sind wir dann bald ganz wegrationalisiert?“ — sorgenvoll, es verstärkt auch das vorhandene Selbstverständnis: „Wir sind alle einfach leidenschaftliche Kulturmenschen und glauben daran, dass Kunst, Kultur und Literatur ins Fernsehen gehört“. Im übrigen erstaune es sie, dass ausgerechnet beim „Bücherjournal“ gespart werden soll: „Wir produzieren seit vielen Jahren mit quasi keinem Geld und optimaler Zweitverwertung. Es werden keine neuen Beiträge produziert, sondern bereits ausgestrahlte Beiträge des ‚Kulturjournals‘ oder anderer ARD-Sender erneut gezeigt."