Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz hätte Angela Merkel gefährlicher werden können als Martin Schulz

Als gestern Nachmittag das „Stern“-Cover mit dem Bild von Sigmar Gabriel und der Schlagzeile „Der Rücktritt“ bekannt wurde, zuckten in Hamburg nicht wenige zusammen: Ist das die Stunde von Olaf Scholz? Der Bürgermeister als Kanzlerkandidat? Berlin statt Hamburg? In politischen Kreisen war schon seit Tagen darüber diskutiert worden, dass Gabriel sich mit seiner Entscheidung schwertut. Zeitgleich wuchs die Zahl der Stimmen, die lieber Scholz statt Schulz als neue Nummer eins der SPD gesehen hätten – sowohl in der Partei als auch bei Kommentatoren.

Der Berliner „Tagesspiegel“ schrieb wenige Stunden vor Gabriels Rück­zieher: „Es gibt nur einen, der jetzt, in diesen schweren Zeiten, der Richtige wäre: Olaf Scholz. Der Bürgermeister bringt alles mit, um der Kanzlerin gefährlich zu werden. Zunächst ist er wie sie: kühl, analytisch, hart. Anders als sie hat er aber auch meist schon einen Plan, an den er sich hält. Dann hat er in Hamburg gelernt, was viele ihm nie zugetraut hätten: Volksnähe. (...) Das wichtigste Argument aber lautet: Scholz könnte einer sein, dem die Menschen wirklich vertrauen, weil sie ihn für verlässlich halten.“

Nun, er wird es nicht. Der Bürgermeister bleibt Bürgermeister, was nicht wenige Menschen in Hamburg freuen dürfte, und wir werden nie erfahren, ob er für die andere Aufgabe zu diesem Zeitpunkt bereit gewesen wäre. Dass er es gekonnt hätte, steht außer Frage. Martin Schulz mag als Kandidat stärker als Sigmar Gabriel sein.

Die beste Lösung für die dahinsiechende SPD wäre aber der Mann gewesen, der in Hamburg bewiesen hat, dass und wie man als Sozialdemokrat eindrucksvoll Wahlen gewinnen kann. Wahrscheinlich hätte auch Scholz Angela Merkel nicht geschlagen, aber er wäre für sie der unangenehmere Gegner gewesen. Der Hamburger verfügt innerhalb der SPD über die größtmögliche innenpolitische Erfahrung, er hat in Stadt und Land schwierige Probleme gelöst und sich dabei als einer der besten Politikstrategen der Republik bewiesen.

Eben weil er eher Taktiker und Kopfmensch ist, wird Scholz den Wechsel von Gabriel zu Schulz wohl nicht als Niederlage empfinden. Im Gegenteil: Der Bürgermeister, der offiziell nie etwas anderes gesagt hat, als dass er in Hamburg bleiben will, hat im anstehenden Bundestagswahlkampf nichts zu verlieren. Er kann abwarten, wie sich der künftige Parteivorsitzende beziehungsweise Kandidat Schulz und der künftige Außenminister Gabriel machen. Kommt die SPD nicht aus ihrem Umfragetief von 20 Prozent, wird sich nach der Bundestagswahl kaum die Frage stellen, wer der neue starke Mann der Partei ist. Dann gibt es nur noch Scholz.

Zurück zur Gegenwart, die der Sozialdemokratie genug Prüfungen auferlegt. Nicht nur für die Spitze der Partei muss die Art und Weise, mit der sich Sigmar Gabriel verabschiedet und nebenbei seine Nachfolge regelt, wie ein Schlag ins Gesicht anfühlen. Immer hatte der Parteivorsitzende betont, dass er sich in der K-Frage an den verabredeten Zeitplan halten und die Entscheidung am kommenden Sonntag bekannt geben werde. Von wegen. Auch zum Ende seiner politischen Karriere bleibt Gabriel der viel beschriebenen und kritisierten Sprunghaftigkeit treu.

Statt der SPD teilte er seine Entscheidungen zunächst dem Hamburger Magazin „Stern“ mit – und von dem erfuhr es dann der Rest der (Partei-)Welt. Ein einmaliger, ein für viele Sozial­demokraten sicher unverständlicher, um nicht zu sagen: erniedrigender Vorgang. Und im Übrigen etwas, das Olaf Scholz niemals passiert wäre. Der abrupte Hinterzimmer-Übergang von Gabriel zu Schulz wird Folgen haben, sonst ist die SPD nicht mehr die SPD.

Das Vorgehen muss die Parteibasis empören, auch wenn sie mit dem neuen Kandidaten und Parteivorsitzenden im Wahljahr 2017 sicher besser leben kann als mit Gabriel. Wer in Zeiten wie diesen Umfragen vertraut, muss als Sozialdemokrat Martin Schulz unterstützen. Seine persönlichen Werte sind besser als die von Sigmar Gabriel, auch besser als jene von Olaf Scholz. Der langjährige Präsident des Europäischen Parlaments gilt als guter Wahlkämpfer, er ist zugewandt und fröhlich, in Deutschland vielleicht am ehesten vergleichbar mit Unions-Politiker Wolfgang Bosbach. Und er kommt aus Nordrhein-Westfalen, dem Stammland der SPD, in dem in diesem Jahr auch gewählt wird. Das spricht für Schulz. Gegen ihn spricht seine Vergangenheit: Der Spitzenkandidat steht wie kein anderer Politiker in Deutschland für die Europäische Union und das, was mit ihr an schlechten Nachrichten verbunden wird. Das ist ein Nachteil in Zeiten, in denen auch die SPD Wähler für sich gewinnen muss, die mit der Globalisierung und all ihren Begleiterscheinungen fremdeln. Insofern ist Schulz’ Nominierung nicht nur eine gute Nachricht für die Sozialdemokraten – sondern auch für alle Parteien, die gegen Europa Wahlkampf machen.