Hamburg. Berlinerin verliebt sich in jüngeren Taschendieb. Nicolette Krebitz’ ungewöhnlicher Liebesfilm „A E I O U“ ab Donnerstag in den Kinos.
Es wirkt schon ganz und gar historisch, das alte West-Berlin, in dem die Menschen allein in riesigen Altbauwohnungen leben, abends die Paris-Bar besuchen und nach ein paar Gläsern Wein vor dem Kippenberger-Bild nach Hause wanken. Die 60 Jahre alte Schauspielerin Anna (Sophie Rois), die perfekt in dieses Umfeld passt, ist gerade im Begriff, genau das zu tun – da wird ihr von einem Kleinkriminellen die Handtasche entrissen. Jugendliche rennen dem Dieb hinterher und können ihn stellen, aber ihre Brieftasche bleibt verschwunden.
Anna erzählt die Geschichte ihrem Nachbarn Michel, dem Udo Kier genau die richtige Mischung aus Noblesse und Loyalität verleiht. Denn Michel ist nicht nur Nachbar, sondern Eigentümer des ganzen Hauses und Annas väterlicher Freund. Sie schuldet ihm einige Monatsmieten, aber das macht nichts, es gibt viel wichtigere Dinge. Zum Beispiel die Sache mit diesem Jungen.
Kino: Gealterte Frau verliebt sich in Taschendieb
Der heißt Adrian (Milan Herms) und wird Anna von einem befreundeten Arzt vermittelt. Wobei, eigentlich wird er ihr aufgezwungen. Adrian sei ein Waisenjunge, sagt der Arzt, er habe Schwierigkeiten mit dem Sprechen. Irgendwann gibt Anna ihren Widerstand auf und willigt ein, obwohl selbst nur noch sporadisch als Schauspielerin tätig, ihm Sprachunterricht zu geben.
Muss man noch sagen, dass Adrian natürlich der Dieb aus der Anfangsszene ist? Und dass sich aus dem Verhältnis der gealterten Frau zum gerade erwachsenen jungen Mann erotische Funkenschläge ergeben werden? Nein, und das ist der Clou dieses klugen und unkonventionellen Liebesfilms: Er kennt und zitiert ausgiebig die Wendungen seiner vielen Vorgänger, um sie mit seiner Eigenart, seiner angenehmen Seltsamkeit dann doch wieder zu unterlaufen.
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Dass dies so hinreißend gelingt, ist vor allem das Verdienst von Sophie Rois und Milan Herms. Sie dürften sich spätestens seit 2016 kennen, als Frank Castorf an der Berliner Volksbühne „Die Kabale der Scheinheiligen“ nach Michail Bulgakow inszenierte. Da standen beide auf der Besetzungsliste. Unabhängig davon berichtet Regisseurin Nicolette Krebitz, sie habe Herms durch Zufall in der Sauna gesehen, in ihm sofort den Adrian für ihren Film erkannt, angesprochen und zum Casting eingeladen – auch wenn sie sich im Bademantel dabei ein bisschen so vorgekommen sei wie Harvey Weinstein.
Wie auch immer: Die Chemie zwischen beiden kann man als außerordentlich bindungsfreudig beschreiben. Auch wenn Anna das eigentlich gar nicht will, mit der Liebe bereits abgeschlossen hatte und über den Altersunterschied gar nicht erst nachdenken will. Aber irgendwann sinkt sie doch hin. Die beiden fahren nach Frankreich, wo sich der Film zu einer Art Bonnie-und-Clyde-Geschichte entwickelt. Sie finden als Taschendiebe ihr Auskommen, bis
Adrian ein wertvolles Collier stiehlt und sich Anna damit im Casino sehen lässt. Dann scheint alles schiefzugehen.
Ein zarter Liebesfilm ist das geworden, der sich seines Genres jederzeit bewusst ist und darauf mit unerwarteten neuen Ideen antwortet. Und mit wunderschönen Bildern.
„A E I O U“ 104 Minuten, ab 6 Jahren, ab 16.6. im Kino