Berlin. Zwei ungleiche Brüder finden spät im Leben zueinander: die französische Tragikomödie „Die leisen und die großen Töne“ von Emmanuel Courcol.

Mit einem Schlag gerät Thibauts (Benjamin Lavernhe) Leben aus dem Takt. Während eines Konzerts in Paris bricht der renommierte Dirigent am Pult zusammen. Die Diagnose kommt aus heiterem Himmel: Leukämie. Retten könnte ihn die Knochenmarkspende seiner Schwester, doch die erweist sich als nicht kompatibel. Da kommt der nächste Paukenschlag: Die beiden sind gar nicht verwandt, Thibauts Eltern hatten es in 37 Jahren nicht übers Herz gebracht, ihm zu sagen, dass sie ihn adoptiert haben.

Nur eines verbindet die beiden: die Liebe zur Musik

Dafür gibt es in der Provinz einen Bruder, von dem er bisher nichts wusste. Nach dem Tod ihrer leiblichen Mutter wuchs Jimmy (Pierre Lottin) in einfachen Verhältnissen bei einer anderen Familie auf und arbeitet heute in der Schulkantine seines nordfranzösischen Arbeiterstädtchens. Und er wäre der ideale Spender, um Thibauts Leben zu retten. Doch Jimmy erweist sich erst als wenig erfreut über die neue, wohlhabende Verwandtschaft, die da überraschend auftaucht.

Erst nach dem Insistieren der Pflegemutter, die schließlich einen Jungen mit Anstand großgezogen hat, springt er missmutig als Spender ein. Nach der Operation, die Thibaut ein neues Leben schenkt, hofft er auch auf ein besseres Verhältnis zu seinem Bruder. Er entdeckt nicht nur, dass Jimmy begeisterter Vinylsammler ist, sondern in seiner Freizeit auch Posaune in der örtlichen Blasmusikkapelle spielt. Über ihre Liebe zur Musik finden die beiden tatsächlich eine gemeinsame Ebene, die sie trotz aller Unterschiede und Ressentiments näherbringt.

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Als schließlich der Dirigent der örtlichen Band abspringt, bietet Thibaut seinem Bruder an, ihn für den Posten und einen landesweiten Musikwettbewerb fit zu machen, um so zumindest ein bisschen auszugleichen, was ihm an Privilegien möglich war und Jimmy verwehrt blieb. Zwei Männer, die sich in all ihr Gegensätzen gegenseitig retten und erst mit der Zeit bewusstwerden, wie sehr sie einander brauchen.

Hymne für Empathie und Gemeinschaftssinn ohne jeden Schmalz

Regisseur Emmanuel Courcol vermeidet in seiner tragikomischen Brudergeschichte „Die leisen und die großen Töne“ Schmalz und Misstöne gleichermaßen und setzt die disharmonischen Momente und Kontraste wohltemperiert ein. Die brüderlichen Reibereien um ähnliche Talente und ungleiche Chancen spiegeln im Kleinen, wie Klassenunterschiede die französische Gesellschaft im Allgemeinen prägen.

Dazu gehört auch die Fabrik im Ort, gegen der drohende Schließung die Arbeitenden protestieren und die Jimmy heimlich mit übriggebliebenem Kantinenessen versorgt. All das komponiert Courcol mit einer Leichtigkeit, facettenreichen Figuren und überraschenden Wendungen zu einer Hymne für Empathie und Gemeinschaftssinn, ohne die Differenzen zu überspielen.

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Jimmy wird für den Musikwettbewerb fit gemacht.
Jimmy wird für den Musikwettbewerb fit gemacht. © Neue Visionen | Neue Visionen Filmverleih

Nicht alles löst sich in Wohlgefallen auf, die Entscheidung der Adoptiveltern etwa, die kleinen Brüder zu trennen, anstatt sie gemeinsam aufwachsen zu lassen. Zugleich tut Courcol gut daran, den biologischen wie sozialen Determinismus immer wieder zu hinterfragen und mit den Vorurteilen und Projektionen des Publikums zu spielen.

Ein dramatisch-harmonischer Film, perfekt zum Jahresausklang

Dieses Feingefühl für Zwischentöne hatte der 67-jährige Franzose schon im Vorgängerfilm „Ein Triumph“ bewiesen, in dem er warmherzig, mitreißend und voller Witz von einem Schauspieler erzählt, der seine besten Jahre hinter sich hat und Gefangenen Schauspielunterricht gibt, um gemeinsam „Warten auf Godot“ auf die Bühne zu bringen. Einen der Insassen damals spielte Pierre Lottin, der nun als Jimmy endlich eine Hauptrolle bekommt und diesen Zukurzgekommenen mit einer rauen Melancholie spielt, die in ihrer Direktheit auf der Leinwand selten ist.

„Die leisen und die großen Töne“ erinnert nicht zufällig an den bekanntesten der Blaskapellenkomödien, Mark Hermans „Brassed Off – Mit Pauken und Trompeten“ aus dem Jahr 1996 über eine britische Bergarbeiter-Brassband mit Ewan McGregor in einem seiner ersten Filme. Courcols Film trifft einen ähnlichen Nerv, ein Schmeichler fürs Herz und für die Ohren, der auf dem Filmfest in San Sebastián dafür den Zuschauerpreis erhielt. Ein im besten Sinne klassisches Erzählkino, das mit seinen dramatisch-komischen Harmonien perfekt zum Ausklang zwischen den Jahren passt.

Tragikomödie, Frankreich 2024, 103 min., von Emmanuel Courcol, mit Benjamin Lavernhe, Pierre Lottin, Sarah Suco.