Berlin. Hamburgs Bürgermeister hatte vor allem gegen Sahra Wagenknecht einen schweren Stand. CDU-Mann Armin Laschet entspannte sich.
Die soziale Gerechtigkeit gehört von jeher zu jedem Bundestagswahlkampf. Auch dieses Mal haben sich Sozialdemokraten und Linkspartei das Thema auf die Fahnen geschrieben. Allein, die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik der beiden Parteien scheint die Bürger nicht so richtig zu packen. Die Union jedenfalls fährt mit ihrem „Weiter so“-Kurs im Wahlkampf bisher hervorragend.
Anne Will griff das Phänomen am Sonntagabend auf. Warum dringt die SPD derzeit mit ihrem Kernanliegen nicht zu den Wählern durch? Geht es in Deutschland längst gerecht zu? So lauteten die wichtigsten Fragen an die Runde.
Wagenknecht gegen Scholz
Wer bei diesem Thema einen klaren Frontverlauf zwischen links und wirtschaftsnah erwartet hat, wurde eines Besseren belehrt. Im Kern entwickelte sich in der Diskussion nämlich ein harter Schlagabtausch zwischen Sahra Wagenknecht und Olaf Scholz – und damit zwischen den Vertretern von Linkspartei und SPD. Der dritte im Bunde, Armin Laschet (CDU), saß derweil entspannt daneben.
Will man die Sprache des Boxsports verwenden, kann man sagen, dass Wagenknecht diesen Schlagabtausch nach Punkten deutlich für sich entschied. Immer wieder attackierte sie Scholz, der bis heute für die Agenda 2010 wirbt, für ebendiese Reformen.
Politik für Dax-Vorstände?
Ein aufgeblähter Niedriglohnsektor, verbreitete Leiharbeit, geschrumpfte Arbeitnehmerrechte: Rhetorisch scharf führte Wagenknecht in kürzester Zeit jede Kritik ins Feld, die gegen Hartz IV formuliert werden kann. „Was haben wir denn für Jobs? Teilzeit, Minijobs, Leiharbeit“, sagte die Linken-Politikerin etwa mit Blick auf das Jobwunder, das mit den Reformen einhergeht.
Und es ging weiter. „Viele Bürger haben das Gefühl, dass die Politik völlig abgehoben ist, wenn sie erzählt, dass es Deutschland so gut geht wie nie zuvor“, sagte Wagenknecht. Die Sozialdemokraten aber wollten daran nichts ändern. „Die SPD macht keine Politik für ihre Wähler – und die Dax-Vorstände wählen sie nicht.“
Olaf Scholz gibt den Beleidigten
Man kann Wagenknecht mit guten Argumenten eine populistische Rhetorik vorwerfen. Damit hat sie ihre Partei für viele Wähler und alle anderen Partei unmöglich gemacht. Ihre oft unsäglichen Überspitzungen trafen in diesem Fall aber einen wahren Kern: dass die SPD sich mit der Agenda 2010 von ihrer Stammwählerschaft entfremdet und bis heute nicht zu ihr zurückgefunden hat.
Nun hätte man trotz dieser gekonnten Demontage gleichermaßen die Argumente für die Agenda ins Feld führen können. Allein, Olaf Scholz kam erst sehr spät darauf, etwa mit der damaligen Situation (mehr als fünf Millionen Arbeitslose) zu argumentieren. Stattdessen gab er den Beleidigten.
Buhrufe für Hamburgs Ersten Bürgermeister
„Die SPD macht eine sehr sozialdemokratische Politik. Wer das Gegenteil behauptet, zerstört den politischen Frieden in Deutschland“, befand Hamburgs Erster Bürgermeister. Kritik an der SPD ist also gleich undemokratisch? Was für ein Eigentor.
Zur Ausgabe von "Anne Will" in der ARD-Mediathek
Kurz vorher hatte sich Scholz gar zu einer Beleidigung von Wagenknecht verstiegen. Statt die von ihr formulierte Kritik anzugehen, stellte er kurzerhand die Kritik als solche in Frage: „Überall gibt es Leute mit Verschwörungstheorien: Herr Trump in den USA, Frau Wagenknecht hier“, sagte Scholz. Kritik an der Agenda mit den Ausfällen des US-Präsidenten vergleichen – noch ein Eigentor, das bei versuchter Wiederholung vom Publikum sogar mit Buhrufen gegen Scholz quittiert wurde.
Das Fazit
Am Ende machte diese Ausgabe von „Anne Will“ exemplarisch deutlich, womit die SPD dieser Tage zu kämpfen hat: Während der Wahlkampf der Sozialdemokraten auf die soziale Gerechtigkeit ausgerichtet ist, ist ihre Glaubwürdigkeit in dieser Frage für viele Wähler aus der früheren Stammklientel trotz vieler durchgebrachter Gesetzesvorhaben längst nicht wiederhergestellt.
Ob sich das noch drehen lässt? Olaf Scholz jedenfalls glaubt daran: „Ich sehe die große Chance, dass die SPD im Endspurt noch aufholt und Martin Schulz Kanzler wird.“ Na dann.