Paris. Nach dreieinhalb Wochen EM steht fest: ARD und ZDF gehen selbst Allesguckern sehr viel weniger auf die Nerven als gewohnt.
Es gibt da diesen geradezu klassischen Dialog zwischen Fußballfans. „Wer überträgt das deutsche Spiel?“ „ZDF.“ „Ach du Scheiße!“ Besser gesagt: Es gab ihn. Denn die Entwicklung der Berichterstattung des Zweiten ist mindestens so positiv wie die von Joshua Kimmich zum Mini-Lahm. Früher (Rubenbauer) war (Töpperwien) zwar auch nicht alles (Netzer) schlecht (Poschmann), aber nach dreieinhalb Wochen EM wird man eines wohl doch mal sagen dürfen: ARD und ZDF gehen selbst Allesguckern sehr viel weniger auf die Nerven als gewohnt. Ja, es wird sogar ernsthaft darüber gestritten, wer eigentlich besser ist: Opdenhövel/Scholl oder Welke/Kahn/Stanislawski. Auf die Idee wäre vor vier Jahren mit Katrin Müller-Hohenstein und Oliver Kahn am Ostseestrand von Usedom nun wirklich niemand gekommen.
Keine Frage: Oliver Welke war der Königstransfer der Mainzer. Er ist gewissermaßen der Özil im Team und hat mindestens so viel Freude daran, die Mitspieler gut aussehen zu lassen, wie selber zu glänzen. Mit ihm als Spielmacher macht sogar sein Neben-Olli oft richtig Spaß. War der Titan früher so locker wie Dagobert Duck beim Trinkgeldgeben, wirkt er jetzt wie selbiger beim Geldbad. Vielleicht sollte man Welke als großes TV-Experiment mal einen Tag mit Matthias Sammer ins Studio sperren ...
Wer es also schafft, diesen Kahn wieder flott zu machen, dem gönnen wir dann auch sein Honorar, das gewiss üppig ist – aber so üppig, dass jeder HSV-Ersatzspieler darüber in Tränen ausbrechen würde.
Nun kann niemand verhindern, dass Olli K. dann und wann doch wieder in alte Muster verfällt und zu schwadronieren beginnt. Doch selbst dann ist der Zuschauer nicht genervt, sondern gespannt, mit welcher Gehässigkeit Welke das gleich kommentieren wird. Kahn: „Da konnte ich nicht einschlafen, da habe ich ein Buch gelesen.“ Welke: „Buch? Entschuldige, dass ich lache.“
Mit Deutschlands berühmtesten Supermarktleiter Holger Stanislawski haben die beiden auch noch einen Sidekick erhalten. Und auch Stani hat sich im Laufe des Turniers warmanalysiert. Wirkte er zu Beginn an seinem Monsterbildschirm noch ein bisschen wie der Lehrgangsleiter der Trainer-B-Lizenz-Kandidaten, fand er dann doch schnell seine Form („Der Schiedsrichter hat einmal gut gepfiffen: beim Anpfiff“/ „Da drischt er nicht drauf wie ein Kesselflicker, sondern schiebt ihn technisch fein ins Eck“). Kurzum: Am Lerchenberg hat man vieles richtig gemacht. Auch weil mal nicht versucht wurde, die ARD und ihr Netzer-Delling/Opdenhövel-Scholl-Konzept zu kopieren.
Um Scholl wiederum hatten viele sich schon Sorgen gemacht. Nein, schlecht war er nicht, sondern gewohnt klar in seiner Analyse. Auch Matthias Opdenhövel macht einen gewohnt guten Job. Aber irgendwie war das alles erstaunlich brav. Die größte Schlagzeile, die Scholl in den ersten Wochen produzierte, war die seines Honorars, das die ARD ihm zahlt. Sicher ein Zufall, dass er kurz darauf dann doch richtig einen raushaute.
Es ist schon mutig, nachdem erstmals Italien bei einem Turnier besiegt wurde, den Bundestrainer und sein Beraterteam in Grund und Boden zu kritisieren. Während der Rest der Republik unter dem Eindruck des epischen Elfmeterschießens versuchte, den Puls unter Kontrolle zu kriegen, erklärte Scholl aufrichtig wütend, warum die Dreierkette ein großer Murks war. Man muss nicht seiner Meinung sein. Aber genau dafür hat man Experten im Studio. Und wenn alle noch tagelang diskutieren, ob Scholl recht hat oder nicht, hat er sowieso alles richtig gemacht. Nur in Sachen „Packing-Rate“ und überspielte Gegner ist der Analysebedarf mittlerweile arg übererfüllt.
Das zweite Team der ARD, das während der Vorrunde am Nachmittag zum Einsatz kam, hätte man sich allerdings später gewünscht. Sehr viel später, so ab 23.30 Uhr. Nicht weil die Hamburg-Bremer Achse Alexander Bommes und Arnd Zeigler so schlecht gewesen wäre. Im Gegenteil. Sondern weil den unschuldigen Zuschauern und dem armen Malente dann „Beckmanns Sportschule“ erspart geblieben wäre.
Béla Réthy hat zu erstaunlich guter Spätform gefunden
Doch zurück zu den guten Nachrichten: Gerd Gottlob kommentiert das Endspiel. Der nicht ganz waschechte Hamburger (geboren in Reinbek) hat es sich verdient. Nicht wegen des schönsten Versprechers der EM („Boatong“ passt doch prima zur deutschen Beton-Abwehr ohne Gegentor aus dem Spiel heraus), sondern weil er die Mitte zwischen Sachlichkeit und Emotion gefunden hat. Und dabei authentisch bleibt.
Deswegen ist er besser als Tom Bartel, der alles durch den schwarz-rot-goldenen Farbfilter sieht. Der deutsche Schiedsrichter ist bei ihm immer top (egal, wie viele Elfmeter er nicht pfeift), die deutschen Spieler sind nie schlecht, sondern ein Vorbild an Einsatz, egal wie viel Dutzend Fehlpässe sie auch fabriziert haben mögen.
Und besser als Steffen Simon sind beide. Beim WDR-Mann hat man immer den Eindruck, er wartet nur darauf, mühsam vorformulierte Wortstafetten endlich sagen zu dürfen, auch wenn es nur fast passt. Und beim Italienspiel mehrfach zu erzählen, der Elfmeter zum 1:1 sei irregulär ausgeführt worden, war so falsch wie peinlich.
Und doch ist das Erste bei den Kommentatoren nach wie vor nicht zweite Wahl. Zwar hat der alte Béla Réthy diesmal zu erstaunlich guter Spätform gefunden („Die Battle of Britain ist bisher eine Kissenschlacht“), doch nach ihm tut sich beim ZDF leider wenig. Oliver Schmidt war früher eher langweilig (und ist heute eher nervig), Martin Schneider ist wie Erbsensuppe (macht satt, aber nicht glücklich). Die Beste nach Réthy war da noch Claudia Neumann, die nur zweimal randurfte, das aber sehr ordentlich machte. Und dieses Urteil kommt nicht zustande, weil ein paar Tausend Männer mit zu viel Luft zwischen den Ohren meinten, im Internet neue Tiefpunkte auf der nach unten offenen Niveauskala ergründen zu müssen, weil erstmals eine Frau ein Männerfußballspiel im TV kommentieren durfte. War sonst noch was? Ach ja: Danke! Danke an alle Sender, dass auf diese idiotischen, sinnfreien, hochnotpeinlichen Live-Schalten zu irgendwelchen Fanmeilen, auf denen besoffene Teenager Reportern ins Ohr grölen, weitgehend verzichtet wurde. Und wir somit einen Satz diesmal nicht hören mussten: „Und als dann das Tor fiel, war der Jubel groß.“ Ach, was.