Die Schauspielerin ist häufig in kleineren Rollen und auf der Theaterbühne zu sehen – jetzt spielt sie in ihrem ersten großen Film.
Lou wer? Obwohl diese Frau eine wichtige Intellektuelle war, eine Autorin und Psychoanalytikerin, die zu einer Zeit an einer Universität studierte, als das für Frauen alles andere als selbstverständlich war, ist sie bislang doch eher Insidern ein Begriff. Lou Andreas-Salomé, 1861 als Tochter einer Hamburgerin und eines Russen in St. Petersburg geboren, war eine eigenwillige, fordernde und selbstbestimmte Frau. Niemandem wollte sie gehören. Deshalb ist es eine bittere Ironie, wenn man sie heute immer wieder über die Männer beschreibt und definiert, zu denen sie enge Beziehungen unterhielt: Rainer Maria Rilke, Friedrich Nietzsche, Sigmund Freud.
Am heutigen Donnerstag kommt ein Film ins Kino, der ihre Lebensgeschichte in Ausschnitten erzählt. Sie wird darin von vier Frauen in unterschiedlichen Lebensabschnitten gespielt: Nicole Heesters, Liv Lisa Fries, Helena Pieske und Katharina Lorenz.
Letztere kennen viele aus dem Fernsehen, war sie doch schon im „Großstadtrevier“ zu sehen, im „Tatort“, vergangenes Jahr auch in „Der Tel-Aviv-Krimi – Tod in Berlin“. Oft spielte Katharina Lorenz kleinere Rollen, wie im Mauerfall-Movie „Bornholmer Straße“ oder dem Jugenddrama „Freistatt“. Aber bereits da blieb sie im Gedächtnis als eine, die die eindringlichen Zwischentöne kann.
Und nun also die Rolle der Lou Andreas-Salomé in einem Kinofilm. „Sie war eine faszinierende Frau, aber keine Missionarin. Nie war sie in einer Frauenbewegung, sondern wurde von ihrem eigenen inneren Drang nach Freiheit getrieben“, sagt Lorenz über Andreas-Salomé. Schon im Kindesalter habe sich gezeigt, etwa als sie sich heftig dagegen wehrte, konfirmiert zu werden. „Sie hat sich nicht einengen lassen, war nicht kokett, sondern sehr selbstverständlich in dem, was sie tat. Es waren Kraftakte, das alles immer durchzusetzen. Es gab auch Tiefpunkte, an denen sie verzweifelt war. Sie war entschlossen, aber auch naiv. Und ungeheuer willensstark.“
Das ist eine schöne Palette von Gefühlen als Spielvorlage. Die 37 Jahre alte Lorenz bekommt in diesem Film das größte Stück vom Rollenkuchen. Man glaubt ihr die Unkonventionalität sofort, die sie vor der Kamera verkörpert.
„Ich war fast schon froh, dass es keine bewegten Bilder von Lou gibt und ich nicht in die Versuchung kam, sie nachzumachen. Ich habe mich darauf konzentriert, ihre Welt zu erspüren und nicht so auf Äußerlichkeiten zu achten“, sagt Katharina Lorenz.
Regisseurin Cordula Kablitz-Post hat sechs Jahre gebraucht, um das Geld für diesen Film zusammenzubekommen. So lange war auch Lorenz mit an Bord. Lohn der Hartnäckigkeit war der renommierte NDR-Nachwuchspreis, den die Regisseurin Anfang Juni beim Filmfest Emden-Norderney gewinnen konnte.
„Die Welt, sie wird dich schlecht begaben, glaube mir’s. Sofern du willst ein Leben haben, raube dir’s!“, zitiert der Film aus den Schriften von Andreas-Salomé einen Satz, der den Kern ihres Selbstverständnisses trifft. „Ich finde ihn toll, auch wenn er mich ein bisschen erschlagen hat, als ich ihn zum ersten Mal gelesen habe“, sagt Lorenz. „So hat sie gelebt, und damit ist sie auch oft angeeckt. Manchmal wirkte sie fast ein wenig unsympathisch, weil sie auch viele Menschen enttäuscht hat. Aber man musste sich damals als Frau eben alles erkämpfen.“ Was sie Andreas-Salomé fragen würde, wenn sie sie treffen könnte? „Ob sie in ihrem Leben einen Menschen wirklich geliebt hat.“ Im Film weist Lou die Männer ab.
Die vier Darstellerinnen der Lou Andreas-Salomé bekamen einander kaum zu Gesicht, weil sie unterschiedliche Drehtage hatten. Einmal hat Lorenz dann aber doch die Kollegin getroffen, die im Film als ältere Lou zu sehen ist. Sie nennt die Hamburgerin im Gespräch ehrfurchtsvoll „Frau Heesters“. „Wir saßen beide in der Maske, waren uns vorher noch nie begegnet. Sie saß in meinem Rücken, ich konnte sie nur durch den Spiegel sehen. Als ich fertig war und an ihr vorbeigehen wollte, hat sie einfach nur meine Hand ergriffen und lange stumm gedrückt. Es war wie eine Vertrauensbekundung und hatte auch etwas Geheimnisvolles.“
Lorenz‘ eigentliches Metier ist in den vergangenen Jahren die Bühne gewesen. Sie ist Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater, wurde für ihr Gretchen im „Faust“ in der Inszenierung von Matthias Hartmann gefeiert. Zurzeit ist sie dort „karenziert“, also bei niedriger Gage freigestellt, weil sie gerade kein Stück neu probt. Das lässt ihr mehr Raum für Filmprojekte.
Ein Regisseur, mit dem sie viel zusammengearbeitet hat, war Jürgen Gosch. Sein Tod 2009 stürzte sie in eine Krise. „Danach habe ich gedacht: Ich will nicht mehr viel Theater spielen. Und habe lange gebraucht, um wieder tiefes Vertrauen für andere Regisseure aufbringen zu können. Er war so wahnsinnig, aber auch ein Genie und so fein.“ Nach einem Jahr Pause merkte sie, dass sie das Theater vermisste, und begann wieder zu spielen.
Immer noch wundert sie sich über die so andere Arbeitsweise beim Film. Keine wochenlange Probenzeit, selten wird chronologisch gearbeitet. „Wenn man beim Film in der Mitte oder am Ende anfängt, sagt man sich schon: Ich weiß doch noch gar nicht, wie ich vorher sein werde. Das hat mich verwirrt, aber dann habe ich mir gesagt: Das Leben ist ja auch manchmal so, also nicht linear. Beim Drehen sind die Szenen im Kasten, man kann nichts mehr verändern. Das hat mich zuerst wahnsinnig gemacht, weil ich ab und zu dachte: Das kann doch nicht sein, das muss man doch jetzt noch einmal spielen.“
Im Sommer dreht Katharina Lorenz einen Krimi mit Hans Steinbichler, im September einen Science-Fiction-Film in Österreich. Die Regisseurin sei sehr eigenwillig, sagt sie. Katharina Lorenz mag Menschen mit radikalen Ideen, die diese gegen alle Widerstände durchkämpfen. Denen hat sie als Schauspielerin einiges zu geben.
„Lou Andreas-Salomé“ läuft im Elbe, Koralle