Hamburg. Der Hamburger TV-Dauerbrenner behandelt längst auch brisante gesellschaftliche Themen, heute etwa in der Folge „Die Rabenmutter“.

Sicher, es ist immer noch einer der hamburgischen Exportartikel schlechthin und ein Hingucker für Hamburg-Fans aus Nah und Fern. Das Großstadtrevier, geöffnet seit Dezember 1986, ist inzwischen die zweitälteste Vorabendserie im deutschen Fernsehen, nur noch übertroffen von der gleichfalls in der ARD ausgestrahlten „Lindenstraße“. Unstrittig auch, dass Jan Fedder alias Dirk Matthies, seit 1992 dabei und mittlerweile zum Polizeioberkommissar befördert, noch immer das Gesicht des TV-Dauerbrenners ist. Doch die Themen der Kultserie vom Kiez haben sich verändert. „Große ­Haie, kleine Fische“, wie von Truck Stop in der Titelmelodie besungen, sind das eine, gesellschaftliche Probleme das andere. Besonders deutlich wird das in „Die Rabenmutter“, die als 388. Folge im Rahmen der 29. Staffel an diesem Montag zu sehen ist.

Als Polizeiobermeisterin Nina Sieveking und Polizeihauptmeister Paul Dänning wegen Ruhestörung in ein Hochhaus am – auch sozialen – Rand Hamburgs gerufen werden, öffnet ihnen die angetrunkene Mutter Jenny Schreiber. Sie feiert in der Wohnung mit Sohn Marvin den neunten Geburtstag ihrer Tochter Charleen. Weil der CD-Spieler kaputt ist, tendiert die Stimmung gen null. Als die Polizisten kurz darauf in einem Sportverein den Diebstahl eines CD-Players und von Alkohol entdecken, nicht aber den Täter, glaubt Sieveking, dass es der 16-jährige Marvin ist. Hier kommt, wie häufig auch im Alltag in Fällen mit jüngeren Kindern, das Jugendamt ins Spiel, vermischt mit privaten Hintergründen der Polizistin Nina. „Die Folge war für mich auch eine Überraschung, weil ich viel Neues über Ninas Vergangenheit erfahren habe“, sagt die Hamburger Film- und Theaterschauspielerin Wanda Perdelwitz, die seit 2012 in der Rolle der Nina Sieveking zu sehen ist.

Ninas harte Haltung, das Jugendamt dazu zu drängen, die Kinder sofort von der Mutter zu trennen, erklärt sich damit, dass sie selbst einen alkoholkranken Vater hat und aus schwierigen Verhältnissen kommt. Während Kollege Pau (Jens Münchow) die Situation entspannter nimmt, sieht sich Nina mit ihrer Vergangenheit konfrontiert.

„Die Serie spielt ja nun mal in einer Großstadt, und dort gibt es auch soziale Brennpunkte“, erläutert Claudia Thieme, seit 2014 ausführende Produzentin vom Großstadtrevier. „Es wimmelt im deutschen Fernsehen von Polizisten und Polizistinnen, daher ist es umso wichtiger, unser Ensemble in den Vordergrund zu rücken und nicht nur den Fall zu lösen.“ In der Folge „Rabenmutter“ sei es Nina, die durch die Geschichte führe und von der die Zuschauer am Ende etwas Unerwartetes aus ihrem Privatleben erfahren, erläutert Thieme.

Die studierte Filmwissenschaftlerin, zuvor Mitentwicklerin von Krimiserien wie „Doppelter Einsatz“, „Die Gerichtsmedizinerin“ (RTL) oder „Die Rettungsflieger“ (ZDF), arbeitet für die Studio-Hamburg-Tochter Letterbox. Sie verantwortet im NDR-Auftrag den Inhalt sowie ein Team von zehn Autoren (für „Die Rabenmutter“ Martina Mouchot und Robert Hummel), sie entwickelt Drehbücher mit und sorgt für die Umsetzung auch brisanter Themen.

In der Mitte Dezember vergangenen Jahres abgedrehten 29. Staffel ging es etwa in der Folge „Der Anschlag“ um eine Mutter, die Angst hat, dass ihr Sohn sich der Terrororganisation IS anschließt. Zuvor standen in „Kameraden“ die Gesetzeshüter selbst im Fokus, als sich einige Polizeianwärter als Neonazis entpuppten. Auch das Leben der sogenannten Lampedusa-Flüchtlinge in Hamburg wurde im Großstadtrevier schon fiktiv thematisiert – einige von ihnen waren illegal in einem Schlachtbetrieb beschäftigt. Und für die 30. Staffel – die Dreharbeiten beginnen Mitte März – entwickelt Thiemes Team gerade eine Geschichte zum Thema Altersarmut. „Ich finde es toll, dass unter Claudia Thiemes Federführung mehr aktuelle gesellschaftliche Themen verhandelt werden“, sagt Wanda Perdelwitz. „In unseren Folgen steckt spannendes Konfliktpotenzial.“

Beim Publikum stoßen die brisanten Themen keineswegs auf Ablehnung: Während der 29. Staffel stieg der Marktanteil am Montagabend wieder auf durchschnittlich 10,5 Prozent, das entspricht 2,7 Millionen Zuschauern, eine Folge durchbrach die Drei-Millionen-Marke (elf Prozent). Verglichen mit vor zehn Jahren sind es indes nur noch die Hälfte. „Wir stellen uns im ,Großstadtrevier‘ sozial kritischen Themen, aber wir enden immer mit einem Schimmer von Hoffnung“, sagt Thieme. Es ist und bleibt eben eine Vorabendserie. Für den bisher einzigen Toten war zu Beginn der 27. Staffel Jan Fedder verantwortlich: Als Dirk Matthies hatte er im Dienst einen Jungen erschossen.

„Großstadtrevier“: „Die Rabenmutter“
Mo 7.3., 18.50 Uhr, ARD; 29. Staffel noch bis 21.3.