Michael Lehmann von Studio Hamburg und Regisseur Friedemann Fromm sprechen über den Zustand des Fernsehens und den Mut, Neues zu wagen.
Was sollen wir sehen? Und welche Filme und Serien erwarten uns künftig im Fernsehprogramm? Diese Fragen stellen sich Zuschauer und Filmemacher gleichermaßen, wenn auch aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Friedemann Fromm, einer der gefragtesten deutschen Regissseure, und Michael Lehmann, Produktionschef von Studio Hamburg, sprechen über Sehgewohnheiten, Fernsehtrends aus dem Ausland und Eigenarten der Filmbranche. Beide haben zuletzt gemeinsam die sechsteilige ARD-Politserie „Die Stadt und die Macht“ realisiert, die trotz großer Erwartungen weniger als drei Millionen Zuschauer interessierte.
Mit Blick aufs aktuelle Fernsehprogramm lässt sich feststellen: Krimis gehen immer. Liebeskomödien auch. Alle anderen Genres haben es schwer. Wie beurteilen Sie das?
Friedemann Fromm: Es ist bei uns in der Tat nach wie vor sehr schwer, Genrefilme zu machen. Und mit Politik rennt man beim Publikum auch keine offenen Türen ein, das haben wir ja gerade mit „Die Stadt und die Macht“ am eigenen Leib erlebt. Aber das bedeutet nicht, dass man aufhören muss, Angebote zu machen in Richtungen, die vielleicht etwas weniger populär sind. Ich finde, dass wir sogar verpflichtet sind, diese Angebote zu machen. Tun wir das nicht, wird sich am Sehverhalten des Publikums niemals etwas ändern. Sehverhalten ist gelerntes Verhalten. Was die Leute jahrelang vorgesetzt bekommen, das gucken sie auch. Früher oder später.
Nach dem Motto: Wir senden, bis es euch gefällt?
Fromm : Zumindest muss man vor allem in Hinblick auf Serien geduldiger sein. Und mehr Selbstbewusstsein zeigen. Die US-Serien „Breaking Bad“ oder „House of Cards“ hatten zu Beginn auch keine sensationellen Quoten, trotzdem haben sie Kultstatus erlangt. „Die Stadt und die Macht“ haben immerhin 2,5 Millionen Leute geguckt. Das sind ganz schön viele, finde ich. Wenn ich überlege, was die an Rundfunkgebühren zahlen... Warum muss sich ein Sender, der nicht auf Werbeeinnahmen fixiert ist, überhaupt auf diese Quotendiskussion einlassen?
Michael Lehmann: Wir haben hierzulande eine komische Art, über Quoten zu reden. Natürlich erreichen alle Kreativen gern ein breites Publikum, wir haben schließlich ein Sendungsbewusstsein. Aber die Quote wird als einzige Währung genommen, die wir in unserem Orbit haben. Ich finde, das ist zu kurz gesprungen. Die Quotendiskussion überlagert die Qualitätsdiskussion, die viel zu selten geführt wird. Und, ganz wichtig: Wir brauchen in den Sendern und auch bei den Produzenten entscheidungsfreudigere Menschen, die ihre Meinung auch gegen Kritik verteidigen. Bei ,Die Stadt und die Macht‘ war es insbesondere der Executive Producer Gebhard Henke vom WDR.
Sie wünschen sich insgesamt mehr Mut, weniger Misstrauen?
Fromm: Autoren und Regisseure brauchen in der Entwicklungsphase gewisse Freiheiten. Man muss herumspielen können und auch einmal in Sackgassen laufen dürfen. Ich werde immer ganz blass, wenn ich höre, wie die Skandinavier ihre Absprachen treffen. Die verständigen sich über ein Projekt, und dann werden die Kreativen vier Monate in Ruhe gelassen. Ich muss schon über ein Exposé lange mit meinen Mitstreitern diskutieren. Darüber, ob es jetzt heißen soll „Ein Mann betritt den Raum“ oder „Ein Mann stürmt in den Raum“. Das Ergebnis sind buchhalterisch gebaute Sätze, mit denen man versucht, es jedem recht zu machen. Natürlich gehen Dinge auch mal in die Hose, aber ohne Vertrauen geht es nicht.
Lehmann: Wenn ich einem Regisseur kein Vertrauen schenke, muss ich gar nicht erst mit ihm zusammenarbeiten. In der Vorbereitung eines Projekt ringt man gemeinsam um die bestmögliche Geschichte – danach muss sich der Produzent zurückziehen und dem Regisseur alle Freiheiten lassen. Sonst kann ich mich ja gleich selbst als Regisseur hinstellen.
Kennen Sie das: Redakteure, die sich insgeheim für die besseren Regisseure halten?
Fromm: Das will ich so nicht sagen. Aber es ist insgesamt zu viel Angst dabei. Die Haltung ist nicht: Wie können wir etwas richtig Geiles machen? Sondern: Wie können wir Schlimmes verhindern? Vielleicht ist das auch eine Mentalitätssache. Wenn die Amerikaner sagen: Wo ist die Chance? sagen die Deutschen: Wo ist das Risiko? Dabei ist so viel Geld vorhanden, Deutschland ist ein reiches Senderland.
Mit „Weissensee“ haben Sie trotzdem einen großen Erfolg gelandet, Herr Fromm. Sowohl beim Publikum als auch bei der Kritik. Ein Einzelfall?
Fromm: Bei „Weissensee“ gab es im Vorfeld viel Skepsis dem Projekt gegenüber. Ohne das Vertrauen und den unbedingten Willen von Redaktion und Produktion in das Projekt und die Macher wären die Staffeln niemals entstanden. Jetzt arbeiten wir an der vierten, die Serie läuft auf Netflix. Ich bekomme Anrufe von jungen Leuten, denen gefällt, was sie sehen. Wenn ich denen sage, dass die Serie schon seit zehn Jahren im Ersten läuft, zucken die die Achseln. ARD gucken die nicht mehr. Was im Internet nicht stattfindet, existiert nicht.
Muss man heute Programm für ein geteiltes Publikum machen? Einmal für die, die Serien auf Netflix und Co gucken. Und dann für die Zuschauer, die seit 30 Jahren um 20.15 Uhr ein festes Programm erwarten?
Fromm: Wenn man möglichst viele Zuschauer haben will, muss man beide Felder bespielen. Das bedeutet, dass man ständig Kompromisse machen muss im Erzählen: Die einen müssen abgeholt werden, die anderen darf man nicht verschrecken. Es muss überraschend sein, darf aber nicht zu komplex sein. Dieser erzählerische Spagat ist kompliziert.
Lehmann: Ich glaube, Fernsehen hat immer etwas mit Verlässlichkeit zu tun. Um 20 Uhr kommt die „Tagesschau“. Sonntags läuft der „Tatort“. Für Serien haben wir leider kaum Regelsendeplätze in der Primetime. Dafür fehlt angeblich das Geld. Das möchte ich mit Nachdruck hinterfragen. Auch den öffentlich-rechtlichen Sendern ist doch an einer Vielfalt des Programms gelegen – und damit auch an Sendeplätzen für die verschiedenen Genres, für Serien auch auf späteren Sendeplätzen, um eine Vielfalt anbieten zu können. Das Beispiel ‚Tatortreiniger‘ , den wir für den NDR produzieren, zeigt doch, was möglich ist.
Sie beide haben gemeinsam „Die Stadt und die Macht“ gestemmt, eine Politserie im heutigen Berlin. Hat die politische Realität sie überholt, war die Serie bei ihrer Ausstrahlung im Grunde schon veraltet?
Fromm: Dieses Risiko besteht, wenn man eine Politserie macht, und hat uns in diesem Fall auch kalt erwischt. Die Lösung kann trotzdem nicht sein, keine politischen Serien mehr zu erzählen. Ich finde es seltsam, dass Politik im fiktionalen Fernsehen kaum widergespiegelt wird. Politthriller finden bei uns ja praktisch nicht statt. Ich habe mich schon mehrfach an einem solchen Stoff versucht, aber bin damit jedesmal schon in der Exposé-Phase gescheitert.
Lehmann: Ich glaube, dass es grundsätzliche eine Offenheit bei den Sendern und auch beim Publikum für politische Stoffe gibt. Wir werden jedenfalls weiter Qualitätsprogramm in dieser Richtung anbieten – wobei das Genre ja auch Variationsmöglichkeiten bietet. Wenn ich mich heute nochmal für „Die Stadt und die Macht“ entscheiden würde – was ich jederzeit wieder tun würde – dann würde ich den Zuschauer noch schneller und direkter mit dem Thema Politik konfrontieren.
In Qualitätsdiskussionen wird oft bemängelt, es gäbe zu wenig gute Autoren. Wie sehen Sie das?
Fromm: Das Hauptproblem besteht darin, dass unsere Finanzierungskette nicht stimmig ist. Autoren müssten für ihre Treatments viel besser bezahlt werden, denn darin steckt die größte kreative Leistung. Im Idealfall müsste es so sein, dass es sich ein Autor in diesem Stadium finanziell leisten kann, sich einzig auf seine Geschichte zu konzentrieren.
Lehmann: Als Produzent habe ich natürlich auch den Anspruch, dass sich ein Autor voll und ganz dem Projekt widmet. Ich habe auch keine Lust, ein halbes Jahr auf eine Überarbeitung warten zu müssen, weil der Autor an sechs Drehbüchern gleichzeitig arbeitet. Auf der anderen Seite verstehe ich aber auch jeden Drehbuchautor, der sich um die finanzielle Sicherheit seiner Familie kümmern muss. Es geht ja nicht blauäugig nur um Kreativität, sondern auch darum, am Ende des Monats die Miete bezahlen zu können.
An welchem Punkt stehen wir gerade im fiktionalen Fernsehen? Erleben wir in den nächsten Jahren eine Blütezeit, oder verabschieden wir uns gerade vom Lagerfeuer-Fernsehen für Millionen von Menschen?
Lehmann: Ich sehe momentan die große Chance, herkömmliche Erzählformen aufzubrechen und nach immer wieder neuen Formen zu suchen. Im Kino zum Beispiel war der Echtzeitfilm „Victoria“ ein großer Erfolg; damit hätte niemand gerechnet. Auch im Serienbereich können wir für das Fernsehen vollkommen neue Erzählmodelle ausprobieren. Deshalb glaube ich, dass wir in den kommenden Jahren vor allem mit überraschenden Programmen Erfolge haben werden.