Hamburg. Polizist Holger Vehren berät diverse Fernsehproduktionen, prüft Drehbücher und Romane. Und muss TV-Macher manchmal enttäuschen.
Eine schmucklose Kammer, ein Tisch, zwei Stühle. Das Flackerlicht einer Glühbirne lässt das Gesicht des Angeklagten in dem fensterlosen Raum zu einer Furchenlandschaft werden. Von einer lieblos ausgedrückten Zigarette im Aschenbecher wabert Rauch durch den Raum. Das stundenlange Verhör hat inzwischen dunkle Schatten unter die Augen des mutmaßlichen Täters geworfen. Durch den venezianischen Spiegel beobachten Staatsanwältin und Profiler das Verhör.
Szenen wie diese könnten aus jedem zweiten „Tatort“ stammen. Mit der Realität haben sie jedoch so gut wie nichts zu tun. Es hat einen Moment gedauert, bis sich der Hamburger Polizist Holger Vehren damit arrangiert hat, dass es im Fernsehen trotzdem oft so sein muss. Der 49-Jährige ist das Bindeglied zwischen Realität und Krimi-Fiktion. Seit acht Jahren schon ist er so etwas wie Hamburgs Krimi-Cop, berät diverse Fernsehproduktionen, prüft Drehbücher, Manuskripte und Romane auf korrekte Darstellungen der Polizeiarbeit. Allerdings sind es meist nur Empfehlungen, die er aussprechen kann. Wenn es der Regisseur anders will, dann kommt es auch anders. Kunst schlägt Realität.
Wie bei der Sache mit den Verhörräumen. „Wenn ich den Autoren und Regisseuren zeige, wo die Verhöre wirklich stattfinden, dann machen sie meist lange Gesichter“, sagt Vehren. Denn nahezu alle Verhöre finden in ziemlich normalen Büroräumen statt. Zwar gibt es im Polizeipräsidium in Alsterdorf einen Raum mit dem einseitig durchsehbaren venezianischen Spiegel. Aber der kommt nur in absoluten Ausnahmefällen zum Einsatz. Dann nämlich, wenn das Opfer einer Sexualstraftat vernommen wird.
Und auch sonst ist die Stimmung in den Verhörsituationen deutlich weniger düster als im TV. Und das muss auch so sein. „Würden wir eine bedrückende Atmosphäre schaffen, jemandem direkt ins Gesicht leuchten oder sogar zu wenig zu essen oder trinken geben, wäre das ein Verstoß gegen die Strafprozessordnung.“
Die Verhörkammer mit dem Spiegel hat vor allem praktische Gründe
Dass immer wieder die Kammer mit dem Spiegel herhalten muss, hat vor allen Dingen praktische Gründe. „Wenn so ein Verhörzimmer gezeigt wird, weiß der Zuschauer sofort, wo er ist“, sagt Vehren. „Würde man ein Gespräch in einem normalen Büro zeigen, müsste man die Situation erst umständlich erklären.“
Bereits seit Anfang der 90er-Jahre hat die Hamburger Polizei einen Extraposten für die „Krimi-Kommunikation“. Begonnen hatte alles mit dem „Großstadtrevier“. „Der Regisseur fragte damals die Polizei um Hilfe und bat um die Unterstützung mit Originalrequisiten“, so Vehren. Und dann wurden es immer mehr. Mittlerweile sind diverse andere Produktionen dazugekommen. Etwa „Notruf Hafenkante“, „Der Dicke“, „Das Duo“, der „Tatort“ und die Kinderkrimiserie „Die Pfefferkörner“. Auch zahlreiche Krimiautoren suchen Rat. „Wer ermittelt eigentlich, wenn ein Verbrechen auf einem Kreuzfahrtschiff im Hamburger Hafen geschieht, das unter nigerianischer Flagge fährt? Ist es möglich, dass während einer Fahrzeugkontrolle der Beifahrer einfach flieht? Oft sind es sehr konkrete Fragen wie diese, die die Autoren geklärt wissen wollen. Was sie mit der Antwort machen, ist aber ihre Sache.“
Aber oft sind es nicht nur Einzelfragen. Regelmäßig bekommt Vehren auch den Auftrag, alles von vorne bis hinten zu lesen. Rund 50 Drehbücher pro Jahr gelangen auf seinen Schreibtisch.
Und Klischeefallen gibt es viele. Im Fernsehen sind die Ermittler oft Alleskönner und Allesmacher. Beamte, die gleichzeitig Spuren sichern und als Fahnder unterwegs sind, Tatverdächtige verhören und festnehmen. „In Wahrheit sind aber alle Beamten Spezialisten für bestimmte Bereiche.“ Festnahmen etwa würden nur durch das SEK (Spezialeinsatzkommando) – in Hamburg MEK (Mobiles Einsatzkommando) übernommen. „Aber wenn im Film zu viele Personen auftauchen, wird es leicht unübersichtlich“, sagt Vehren. Deswegen würden die Beamten im Krimi einfach zu Generalisten gemacht.
Auch bei der Spurensicherung gibt es einen beliebten Fernsehfehler. „In TV-Krimis sind die Sicherungsbeutel immer aus Plastik, am besten noch mit einem festen Verschluss“, so Vehren. Würde die Polizei wirklich solche Plastiktüten nehmen, hätte sie ein ernsthaftes Problem. „In verschlossenen Kunststofftüten würden die Beweisstücke anfangen zu ,schwitzen‘.“ Nach sehr kurzer Zeit würden so alle Spuren vernichtet werden. „In Wahrheit benutzen wir dafür Papiertüten, weil die atmungsaktiv sind.“ Aber auch hier weiß Vehren, dass an den durchsichtigen Hüllen in den meisten Fällen nichts zu ändern ist. „Oft ist eben im Film wichtig, dass man sieht, welcher Gegenstand in der Tüte landet.“
Ein weiteres Phänomen: In sehr vielen Krimis ermitteln die Beamten nach Konfliktsituationen auf eigene Faust weiter. Oft allein, in ihrer Freizeit, die Dienstwaffe immer griffbereit. Ein Irrglaube. „Es gibt keine Situation, in der ein Beamter einfach irgendwo unterwegs ist und seine Dienststelle nichts davon weiß“, sagt Vehren. Und schon gar nicht allein. „Die Beamten sind immer mindestens zu zweit im Einsatz.“ Vier Augen würden eben mehr sehen als zwei, Zeugenaussagen würden so durch eine zweite Person bestätigt werden können und auch aus Sicherheitsgründen ist ein Solo-Einsatz untersagt.
Und die Dienstwaffe hat nach Dienstschluss auch niemand dabei. Das wäre auch nicht erlaubt. „Die Dienstwaffe wird nach Dienstschluss in den Waffenschrank in der Dienststelle eingeschlossen“, sagt Vehren. Und noch eins: Feste Ermittlerpaare à la Ballauf und Schenk oder Tschiller und Gümer gibt es in der Regel auch nicht.
Aber wer will nach Feierabend schon „Dienst nach Vorschrift“ im Fernsehen sehen? Ein Beamter, der lieber erstmal den Dienstplan checkt, als nach einer spontanen Verfolgungsjagd nach Dienstschluss irgendwann alleine nachts im Industriegebiet zu landen? Die Zuschauer hätten wahrscheinlich längst weggezappt.
Für die Polizei Hamburg ist die Krimi-Beratung ein Marketing-Instrument
Aber an einigen Stellen kann Vehren eben doch Änderungen erwirken. Oft Kleinigkeiten, die ihm aber wichtig sind. Etwa, dass es Durchsuchungsbeschluss und nicht Durchsuchungsbefehl heißt. Dass Mordkommissionen nicht in Großraum-, sondern in Zweierbüros arbeiten. Oder, dass Stellen, in den Beamte aus weiter Entfernung auf Autoreifen schießen, im Zweifel übertrieben sind. „Das passiert so gut wie nie. Der Schusswaffengebrauch ist klar geregelt und greift in der Regel nicht in solchen Fällen.“
Für die Polizei Hamburg ist die Krimi-Beratung auch ein Marketing-Instrument. „Wir können so Einfluss auf das Bild von der Polizei nehmen und aktiv mitgestalten“, so Vehren. In den allermeisten Fällen seien Krimis gut dafür geeignet, ein positives Bild zu vermitteln. „In den meisten Kriminalfällen siegen schließlich die Guten. Die Polizei wird als beschützende Instanz, als Freund und Helfer dargestellt“, sagt Vehren.
Wenn es am Ende aber kein Happy End gibt, kann es aber schon mal schwierig werden. Vehren erinnert sich noch an einen Tatort mit dem ehemalige Hamburger Ermittler Mehmet Kurtulus mit dem Titel „Häuserkampf“. Da saß einer der Straftäter in den eigenen Reihen der Polizei. Und nach der ersten Drehbuchfassung sollte das als Fakt auch so im Raum stehen bleiben. „Da haben wir zum Glück erwirken können, dass zumindest dargestellt wird, dass Maßnahmen ergriffen und der Beschuldigte festgenommen wird“, so Vehren.
Viele Details gibt der Hamburger Polizist gern preis. Grenzen gibt es dennoch: Völlig ausgeschlossen ist jede Form von „Täterschulung“. „Wir geben selbstverständlich nie genaue Details heraus, die einem potenziellen Täter bei der Vorbereitung oder Durchführung seiner Tat helfen könnten“, sagt Vehren.
Seit 25 Jahren ist der gebürtige Emsländer jetzt im Dienst und hat diverse Stationen durchlaufen. Schutzpolizei, Streife, Kripo. Seit einigen Jahren arbeitet er in der Polizeipressestelle. Inzwischen verbringt er aber knapp die Hälfte seiner Arbeitszeit mit Drehbüchern und Romanmanuskripten. Eine willkommene Abwechslung.
Die vergleichsweise künstlerische Arbeit macht dem Beamten sichtlich Freude. „Wenn ich an Drehorten bin und mit Schauspielern und Regisseuren spreche, dann ist das doch eine andere Welt“, sagt er.
Ob er selbst noch ab und zu einen Krimi anschaue? „Ja, das mache ich schon. Aber wahrscheinlich unter anderen Gesichtspunkten als die meisten anderen.“ Und manchmal kann es auch passieren, dass die Spannung ganz plötzlich weg ist. „Manchmal merke ich mitten im Film, dass ich das Drehbuch schon kenne“, sagt Vehren, dessen Büro übrigens auch wenig mit einem coolen Ermittlerbüro zu tun hat. Fast ein bisschen entschuldigend gesteht er: „Könnte auch bei der Hamburg-Mannheimer sein.“ Aber da sieht es bestimmt in Wahrheit auch ganz anders aus.