Der frühere Hamburger „Tatort“-Kommissar spielt im ZDF-Krimi einen Polizisten, der einen alten Fall neu aufrollt.

Wenn es einen Preis für unverwandtes Dreinschauen gäbe, Robert Atzorn würde ihn für diesen Film bekommen müssen. Das ist umso verdienstvoller, als in einer Rolle wie der seinen schon Generationen von Männern unverwandt dreinschauen mussten. Denn er spielt einen alternden Polizisten, der kurz vor der Pensionierung noch einmal von einem Jahre zurückliegenden Fall eingeholt wird. Und da gilt es natürlich, die Bürde der Zeit und die Schlechtigkeit der Welt mit besonders ziseliertem Missmut zu ertragen. In der Rolle des Lorenz Keller macht das Atzorn sehr gut. Sein preisverdächtig unverwandter Blick richtet sich aufs dunkle Moor.

Auf das Totenmoor, wie der Titel des Films etwas splatterhaft verheißt. Man denkt an das Ding aus dem Sumpf und andere Morastmonster, die krächzend aus den Nebeln des Grauens kriechen. Doch ganz so übel geht es in diesem Krimi von Regisseur Axel Barth nicht zu. Seine Handlung führt in die genügsame Welt der niedersächsischen Provinz, wo ein guter Torfstich oft schon die halbe Miete ist. In Amt Neuhaus, gelegen an der Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern, fanden im April vergangenen Jahres die Dreharbeiten statt – „alles vor Ort und nichts im Studio“, wie das „Hagenower Kreisblatt“ freudig vermeldete.

Im Film ist das Moor ein Grab. Beim Torfabbau werden skelettierte menschliche Überreste gefunden. Lorenz Keller ist überzeugt, dass sie von einem 18-jährigen Mädchen namens Fee stammen, das vor 15 Jahren aus dem Dorf verschwand und niemals wiedergesehen wurde. Keller hatte sich damals in den Fall verbissen und sich den ganzen Ort zum Feind gemacht, weil er glaubte, es mit einem Mord zu tun zu haben. Nun meint er endlich seinen Beweis dafür gefunden zu haben.

Seine Frau ist von einem Schlaganfall genesen, aber er nimmt sich keine Zeit für sie. Man muss ein bisschen an Friedrich Dürrenmatts Erzählung „Das Versprechen“ denken und an den in die Jahre gekommenen Kommissär Matthäi, der ebenfalls von einem alten Fall nicht loskommt und bei dem er sich zur Besessenheit auswächst, die ihn alles andere vergessen lässt. Woran liegt es eigentlich, dass Kriminalliteratur und -filme bis heute von älteren Ermittlern nur so wimmeln, während Frauen am Lebensabend seit Miss Marple zu einer verschwindend kleinen Randgruppe gehören?

Darüber könnte man lange diskutieren. Bei Lorenz kommt jedenfalls noch verschärfend hinzu, dass er unter einer altersbedingten Herzerkrankung leidet. Widerwillig schluckt er Tabletten. Sein Arzt Dr. Günther Lohse (Gerhard Garbers) ist der Vater des verschwundenen Mädchens. Er verursachte damals einen Autounfall, bei dem die Mutter starb, was ihm die Tochter nie verzieh. Nun muss er ertragen, wie Lorenz vor seinen Augen den Schädel des gefundenen Skeletts enthüllt. Ist er eine Fährte? Was ist mit dem Torfbauern Hannes (Max von Pufendorf), der sich zum Argwohn der Dorfgemeinschaft gerade eine junge, attraktive Frau aus Hamburg angelacht hat? Oder mit dessen Angestelltem Paul (Matthias Buss), der zum weiblichen Geschlecht offenbar ein krankhaft verklemmtes Verhältnis unterhält und zu Hause in dunkler Kammer Fotobände mit heimlich gemachten Bildern von Frauen hortet? Hat gar Lorenz’ Tochter Jutta, der Alexandra Neldel erstaunliche psychologische Tiefe gibt, etwas mit der Sache zu tun?

Es kommen noch viele weitere Verdächtige infrage, und der Film spult die Mördersuche routiniert ab. Sie krankt nur an einem Glaubwürdigkeitsdefizit: Bei allem, was Lorenz nun überrascht herausfindet, kann er früher nicht besonders sorgfältig ermittelt haben. Es wirkt fast, als entdecke er den vermutlichen Tatort von damals noch einmal neu – was nicht zur Echtheit einer Figur beiträgt, die sich schon einmal manisch in den Fall verbissen haben will. Dies und die hanebüchene, melodramatisch vorgetragene Auflösung kratzen ein wenig an der stimmungsvollen Inszenierung des Films, der die schlammige Bildmetapher der Moorgegend nur sparsam, aber umso effektvoller einsetzt.

„Das Mädchen aus dem Totenmoor“, ZDF,
heute, 20.15 Uhr.