Einheit, Flüchtlinge, Pegida, Gleichtberechtigung – Maybrit Illner hetzte durch die Sendung. Dabei waren die Gäste vielversprechend.
Nein, die Frage der Sendung beantwortete die Runde bis zum Schluss nicht. Es blieb nicht einmal ein diffuses Gefühl, oder eine zarte Ahnung davon, wie eine Antwort hätte aussehen können. „Sind wir ein Volk?“, wollte die Moderatorin von ihren Gäste wissen. Was eine Annäherung an die feinen Unterschiede zwischen Ost und West hätte werden können, abseits vom Trabbi-Spreewald-Gurken-Klischee und Zonen-Gabi, war über weite Strecken eine Hechelei durch zu viele Themen, so dass dem Zuschauer zum Ende hin der Kopf schwirrte.
Es klang alles ganz vielversprechend. Die Sendung werde „deutsche Wirklichkeit im 25. Geburtstagsjahr ergründen – in einer Mischung aus Analyse, Bestandsaufnahme und einer Portion Humor“. Das versprach das ZDF vor dem Themenabend. Dabei wandte der Mainzer Sender viel Mühe auf, sich dem feierlichen Thema unbeschwert und humorvoll zu nähern. Der Moderatorin stellte die Redaktion den Komiker Lutz van der Horst an die Seite. Er sollte laut Ankündigung auf der Suche nach der „deutschen Seele“ quer durch die Republik reisen.
Blick nach vorne
Schon in der Anmoderation machte Illner deutlich, wohin sie die Debatte leiten wollte: Es sollte keine Retrospektive sein, kein rückwärtsgewandter Blick in die Zeitgeschichte, sondern ein nach vorne gerichteter: „Wenn die Deutsche Einheit eine Jahrhundert-Aufgabe war, wie sehr hilft sie uns dann bei der Aufgabe, die vor uns liegt?“ Sie meinte damit, klar, die Flüchtlingskrise. Ein Einstieg, der Erwartungen schürte. Ebenso einige der Gäste. Zu denen zählten neben dem Einheits-Architekten und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), dem grandiosen Historiker Heinrich August Winkler (“Die Geschichte des Westens“) und Schauspieler Jan Josef Liefers noch die beiden Journalisten Özlem Topcu (“Die Zeit“) und Hans-Ulrich Jörges (“Stern“).
Und auch die in der DDR aufgewachsene Schauspielerin Katrin Sass (“Good Bye, Lenin!“) saß in der Runde. Frage von Illner: „Ist die Einheit vollendet oder ist es auch möglich, dass sie unvollendet bleibt?“ Sass: „Ich glaube, dass sie immer unvollendet bleiben wird.“ Dann sprang sie zum berühmten Merkel-Satz, dass das Grundrecht auf Asyl keine Obergrenze kenne, und beklagte die Eigenart der Deutschen, „immer alles gleich schlechtzumachen“. Damit war das erste Klischee bedient. Und es sollte nicht das letzte bleiben.
Klischees und müder Applaus
Einen Volkshochschulkurs im Zeitraffer lieferte der Einspielfilm, der abspulte, was die vergangenen 25 Jahre so alles zu bieten hatten: Sechs Bundespräsidenten, Dosenpfand, Wehrpflicht, Wir-alle-sind-Papst, besagte Zonen-Gabi isst ihre erste Banane, und schließlich, da ist eine ostdeutsche Pfarrerstochter die mächtigste Frau des wiedervereinten Deutschlands.
Erster Auftritt des Komikers, Lutz van der Horst. Der nähert sich einer etwas hilflos wirkenden Zuschauerin aus dem Publikum. Er wolle nun beweisen, dass einige Vorurteile eben doch zutreffen. Gegenüber der Befragten zeigte er sich verwundert: Warum sie denn keine zwei Haarfarben habe, wie alle Frauen aus Ostdeutschland (Haha)? Und, zack, er knallte ihr noch ein Klischee hin: Stimmt es denn, dass Ossis den Westen die Jobs wegnehmen? Müder Applaus aus dem Publikum.
Dann kam Hans-Ulrich Jörges an die Reihe, der die Sendung glücklicherweise wieder auf die Spur brachte. Wie sein Befund nach 25 Jahren Deutscher Einheit ausfalle? „Vieles ist nicht gelungen“, kritisierte er. „Das Kapital gehört fast ausschließlich den Westdeutschen.“ Fast alle Elitepositionen seien ebenfalls von Bürgern aus den ehemaligen alten Bundesländern besetzt. Ein aufschlussreicher Einspielfilm später untermauert die noch immer bestehenden Unterschiede. Zum Beispiel bei Brutto-Stundenlohn: Der beträgt laut Statistik im Osten gerade mal 16,05 Euro, während er im Westen bei 21,63 Euro liegt. Das lässt sich weiter durchdeklinieren: Die Arbeitslosigkeit liegt im Westen bei 5,8 Prozent, in Ost bei 9 Prozent. Und auch die Erbschaften fallen sehr unterschiedlich aus. Ebenso wie der Anteil von Migranten, der in den Bundesländern der ehemaligen DDR bei lediglich 3,3 Prozent liegt.
Illner moderiert rastlos durch
Doch anstatt die Unterschiede zu vertiefen, fragte Illner rastlos weiter. Etwas vorhersehbar, aber dennoch wichtig, die Frage: „Werden Ossis noch diskriminiert?“ Einen Nerv trifft der in der DDR aufgewachsene Schauspieler Jan Josef Liefers. „Was viele DDR-Bürger schlecht weggesteckt haben: Das sie sich sehr für den Westen, die Freiheit, die Musik interessiert haben. Dass sich im Westen aber eigentlich keine Sau für sie interessiert hat.“ Das sei nicht besonders geschickt gewesen von den Westdeutschen. Moderatorin Illner moderiert an dieser einfach durch: „Ja, aber es ist ja ein Gefühl“, leitet sie über zu der Journalistin Topcu.
Journalist Jörges reißt die Deutungshoheit der Sendung später an sich. Er verstehe die Frage der Einheit heute nicht mehr als eine, die sich zwischen Ost und West stellt, dabei handele es sich nur um Mentalitätsunterschiede. „Die Einheitsaufgabe besteht darin, die Menschen, die zu uns kommen, zu integrieren.“ Um den Beweis dafür zu führen, verweist er auf einen Zettel, auf dem er alle Migranten seines Alltags notiert hat: Der Imbissbesitzer, der Bäcker, die Putzfrau, der Getränkehändler und so weiter.
Historiker warnt vor Selbstbeweihräucherung
Dann wird ein weiterer Gast eingeführt, der Landrat des Landkreises Dachau, Stefan Löwl (CSU). Und spätestens zu diesen Zeitpunkt zerfasert das Konzept der Sendung. Der Zuschauer wähnt sich in der gefühlt achtundsechzigsten Talk-Show zum Thema Flüchtlinge in den vergangenen vier Wochen. Löwl klagt über überfüllte Asylheime. Szene, die der Zuschauer in den vergangenen Tagen leider viel zu oft gesehen hat. Kurz darauf geht es um Pegida. Komiker Lutz van der Horst versucht Demonstranten ein Statement abzuringen, die ihm ein „Lügenpresse“ entgegen schleudern. Er macht sich lustig über die Protestler. „Ich fasse ihre Argumente zusammen.“ Er schweigt.
Schließlich interviewt Illner noch den Historiker Heinrich August Winkler, der wohl noch die fundierteste Zustandsbeschreibung liefert. Er warnt vor einer Selbstbeweihräucherung der Deutschen. „Es besteht die Gefahr, dass im Unterton mitschwingt: Wir sind jetzt die Guten.“
Wer die Deutschen denn nun sind, wie geteilt, wie unterschiedlich, wie bunt - das ließ der Talk in der Hetze untergehen.