Offene Grenzen, Selfies mit Flüchtlingen - hat Kanzlerin Merkel den Zustrom erst richtig angetrieben? Bei Anne Will hagelte es Kritik.

„Wir schaffen das.“ Nicht einmal vier Wochen ist es her, dass die Bundeskanzlerin den mutigen Satz vor der versammelten Hauptstadtpresse formulierte und die Bewältigung des Flüchtlingsstroms zur „nationalen Aufgabe“ erklärte. War Angela Merkel zu mutig? Denn inzwischen scheinen nicht nur der CSU in Bayern, sondern auch der Bundesregierung Zweifel am Postulat der Chefin zu kommen. Die Flüchtlinge strömen weiter über die Grenzen nach Deutschland und inzwischen geht es der Regierung vor allem um eine Frage: Wie schaffen wir es, möglichst schnell den Andrang stoppen? „Große Geste - kleiner Plan?“ fragte auch Anne Will die Gäste in ihrer ARD-Talkrunde. Es war die Stunde der Bedenkenträger.

Der Hardliner. „Wir müssen die Flüchtlingszahlen begrenzen“, lautet das Mantra der CSU, das auch Thomas Kreuzer, Chef der Partei im bayerischen Landtag, wiederholte. Aktuell 11.000 Zuzügler pro Tag, allein im Freistaat - Deutschland treibe auf eine Situation zu, „wo wir die Sache nicht mehr im Griff haben“ und „untragbare Zustände“ herrschten. Eine „Mitursache“ dafür, so Kreuzer, sei die Politik der Kanzlerin, die mit der Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge ein falsches Signal gesetzt habe. Kreuzer: „Es muss jetzt ein umgekehrtes Signal gesetzt werden von der Kanzlerin. Wir fordern sie auf, jetzt zu handeln.“

Also ist alles Schuld der Kanzlerin?

Der Historiker. „Wir dürfen nicht mehr versprechen als wir halten können“, beschwor der Geschichtsprofessor Heinrich August Winkler. „Und wir dürfen uns nicht übernehmen.“ Gemeint - wenn auch nicht ausgesprochen - war Angela Merkel. Und in der von vielen bejubelte neuen „Willkommenskultur“ in Deutschland missfällt Winkler die „Selbstgefälligkeit“, die „an Selbstüberhebung grenzt“. Das sei „zu dick aufgetragen“ gewesen. Man habe als Deutscher schließlich eine „Verpflichtung zur Nüchternheit“.

Also lieber sauertöpfisch am Schreibtisch, als Selfies vor Flüchtlingsheimen?

Der Medienmann. Wir schaffen das. „Es gibt einen klipp und klaren Zusammenhang zwischen der jetzigen Situation und dem Satz der Bundeskanzlerin“, urteilte der Politik-Journalist Christoph Schwennicke. Die Folge: Der Flüchtlingszustrom sei „nicht mehr in geordneten Bahnen handhabbar, nicht mehr zu beherrschen“. Deutschland und die EU - überfordert. Die Aussage der Kanzlerin sei „der schwerste Fehler der Amtszeit von Angela Merkel“ gewesen.

Also ist der Stern der Regierungschefin im Sinken begriffen?

Die Merkel-Verteidigerin. „Es ist eine Illusion, dass wir uns gegenüber der Armutsmigration abschotten könnten“, warf sich ARD-Journalistin Marion van Haaren für die Kanzlerin in die Bresche. „Das Desaster, das wir jetzt haben“ sei mitnichten eine Folge der Haltung Angela Merkels in der Flüchtlingspolitik, sondern es wurde „ausgelöst in den Flüchtlingslagern in Jordanien, im Libanon und in der Türkei. Diese Länder haben wir im Stich gelassen“, so van Haaren. Im übrigen sei die jetzige Lage voraussehbar gewesen - die Bootsflüchtlinge kämen schließlich schon seit Jahren übers Mittelmeer.

Also doch alles ganz anders?

Der Sowohl-als-auch-Mann. Armin Laschet aus Nordrhein-Westfalen, Merkels Vize an der CDU-Spitze, verteidigte wahlweise seine Parteichefin, dann wieder die grollende CSU, über deren Ex-Chef Franz-Josef Strauß er gerade ein Buch lese. Laschet sieht „die Aufnahmefähigkeit der Gesellschaft an Grenzen“, glaubt aber irgendwie auch, dass wir das schaffen: „Wir packen das.“ Das von der Regierung gerade beschlossene Maßnahmenpaket mit schärfere Asylregeln, schnelleren Verfahren und der Einstufung weiterer Staaten als so genannte sichere Herkunftsländer sei die „größte Verschärfung des Asylrechts seit 25 Jahren“. Ob`s helfen wird, weiß Laschet aber auch nicht. Was er dagegen sicher weiß: „Asyl ist Asyl, Einwanderung ist Einwanderung.“