Sonnabend treten wieder Musiker zum Bundesvision Song Contest an. Dessen Zukunft ist nach Rücktritt seines Erfinders offen.
Stefan Raab muss sich daran gewöhnen, dass von ihm bald in der Vergangenheitsform gesprochen wird – wie alle seine Fans, von denen nicht wenige in den Entscheiderbüros der Fernsehsender sitzen. Bei ProSieben. Sat.1 werden sie sich immer noch nicht von dem Schock erholt haben, der die Programmmacher vor knapp zwei Monaten ereilte, als Raab überraschend verkündete, „seine Fernsehschuhe an den Nagel zu hängen“.
Am 19. Dezember beendet der Moderator seine TV-Karriere
Nun ist der Mann mit der am üppigsten ausgestatten Kauleiste des Fernsehgeschäfts auf Abschiedstournee. Und mit ihm seine Sendungen, von denen theoretisch jede bis Ende des Jahres ein letztes Mal zu sehen ist: Bevor er am 19. Dezember nach „Schlag den Raab“ endgültig TV-Geschichte sein wird, bläst der Kölner am heutigen Sonnabend noch einmal zum „Bundesvision Song Contest“. Seiner Erfindung von vor zehn Jahren, als er des Eurovision Song Contests, jenes behäbig manövrierenden Schlachtschiffs der Populärmusik, überdrüssig geworden war. Der Kindskopf Raab war immer dann besonders selbstbewusst, wenn es um Musik ging. Legendär ist sein Battle mit Schlagerprofi Ralph Siegel – als Komponist nannte Raab sich mal „Alf Igel“. Er übertrumpfte den biederen Siegel beim Grand Prix in vielfacher Hinsicht und traute sich auch darüber hinaus etwas: den Bundesvision Song Contest etwa.
Wenn der Wettbewerb, bei dem traditionell 16 Solokünstler und Bands aus 16 Bundesländern antreten, heute Abend in Bremen zum 11. Mal über die Bühne geht, soll das nach Raabs Willen übrigens keineswegs das letzte Mal sein. Der 48-Jährige hofft auf eine Zukunft des Bundesvision Song Contests, wie er gestern auf einer Pressekonferenz kundtat. „Ich würde mir wünschen, dass er weitergeht“, sagte der Moderator da, „vielleicht findet sich jemand anderes, der ihn weiterführt.“
Für Hamburg tritt Ferris MC von Deichkind an
Was in mancherlei Hinsicht vorstellbar ist – anders als bei „Schlag den Raab“, den verschiedenen anderen Raab-Wettbewerben („Wok-WM“) und „TV Total“ ist die in Kooperation mit etlichen Radiosendern veranstaltete Musikshow nicht in dem Maße mit ihrem Moderator und Erfinder verknüpft. Im Mittelpunkt des Bundesvision Song Contests stehen die Musikbeiträge.
Trotzdem darf man die Frage stellen, ob es den Bundesvision Song Contest überhaupt noch braucht. Die Grundidee, nur deutschsprachige Künstler antreten zu lassen, gilt immer noch und ist weiterhin ehrenwert. Den deutschen Pop besser gemacht hat die Konkurrenz jedoch nicht, im Gegenteil ist er derzeit so langweilig wie nie – die neuen Blumfeld, Fettes Brot oder Wir sind Helden sind jedenfalls nirgendwo in Sicht. Was man bei Raab zu hören bekommt, ist oft öder Formatpop. Oder das Altbewährte: Für Hamburg tritt in diesem Jahr Ferris MC an. Sein Song heißt „Monstertruck“. Für Nordrhein-Westfalen gehen die Donots ins Rennen, für Niedersachsen Madsen. Und Sachsen schickt Jan Josef Liefers mit seiner Band Radio Doria. Dass nur Liefers aus Sachsen kommt, ist wenig verwunderlich: Beim Song Contest sind Luftwurzeln ausdrücklich erlaubt. Wichtig ist nur, dass wenigstens einer aus der Band in dem Land, das sie vertritt, geboren ist. Oder dass irgendein biografischer Bezug vorhanden ist.
Die Hamburger Band Revolverheld gewann 2014
Ferris MC etwa, den meisten vor allem als Mitglied der großen Textkünstler und Spaß-Elektrorapper Deichkind ein Begriff, könnte ausweislich seines Geburtsorts (Neuwied) auch für Rheinland-Pfalz antreten. Oder eben für Bremen, wo er aufwuchs. Den letztjährigen „BuViSoCo“, wie ihn seine Fans und der ausrichtende Sender ProSieben nennen, gewann die in Hamburg beheimatete Band Revolverheld, allerdings für Bremen – dort war Sänger Johannes Strate, der außerdem Werder-Fan ist, lange zu Hause.
Weswegen die Einteilung in Bundesländer schon immer reichlich künstlich war; eine spezifisch regionale künstlerische Ausprägung war sowieso nie zu beobachten. Was wahrscheinlich auch gar nicht schlimm und beim Eurovision-Vorbild genauso ist. Nur dass da die Punktevergabe, bei der man sich stets herrlich fragen kann, wer uns Deutsche denn überhaupt nicht mag oder eben doch, um einiges reizvoller ist. Beim Bundesvision Song Contest dürfen die Zuschauer auch für ihr eigenes Bundesland stimmen. Das immerhin ist in lokalpatriotischer Hinsicht immer schon eine gute Sache gewesen.
Die Einschaltquoten dagegen waren nur noch selten so hoch wie bei der Premiere im Jahr 2005, die seinerzeit die Band Juli mit ihrem Song „Geile Zeit“ für Hessen vor knapp dreieinhalb Millionen Zuschauern gewann. 2014, beim zehnten Jubiläum, waren es nur noch anderthalb Millionen. Das ist nicht viel zur Primetime, weshalb es, was die Zukunft der Show angeht, auch darauf ankommen wird, ob ProSieben die Angelegenheit noch für lohnenswert erachtet.
Für Bremen tritt Klaas Heufer-Umlauf an
Vielleicht wird’s ja heute ein Bruderkampf der beiden Hansestädte. Zwischen dem schönen Bremen und dem großen Hamburg also, die mit der – sieht man mal von Sachsen-Liefers und der Thüringerin Yvonne Catterfeld ab – prominentesten Aufstellung auflaufen. Für Bremen wirft sich Gloria ins Zeug, die vierköpfige Band um Wir-sind-Helden-Mann Mark Tavassol und ProSie-ben-Moderator Klaas Heufer-Umlauf („Warum wir für Bremen antreten? Zum einen war das noch über und zum anderen kommt Mark aus Bremen. Der Rest der Band übrigens auch. Genauer gesagt aus den Bremer Stadtteilen Hamburg, Oldenburg und der Türkei“) – es könnte dank der Beliebtheit von Letzterem und der durchaus vorhandenen Qualitäten des Gloria-Songs „Haut“ ein harter Kampf für den Hamburger Ferris MC werden.
Baden-Württembergs Hoffnung heißt dagegen Glasperlenspiel, die Band also, die Hamburger zuletzt als Vorgruppe von Helene Fischers umjubelten Stadionkonzerten sehen durften. Der Bundesvision Song Contest ist, bei aller Mainstream-Orientierung, eine durchaus heterogene Veranstaltung.
Bundesvision Song Contest 2015 heute, Sonnabend, 20.15 Uhr, ProSieben