Hamburg. Der Entertainer war sehr lange Zeit das Zugpferd von ProSieben. Geniestreiche an TV-Formaten blieben in den letzten Jahren aus.
42 Zähne, so scheint, es, allein oben. WennStefan Raabsein Grinsen anknipst, wähnt man sich in einem besonders gelungenen Werbespot für Dentalhygiene. Nur um sich gleich darauf zu fragen, was zum Geier sich der Vorzeigeshowmaster von ProSieben jetzt wieder ausgedacht hat. Denn an Ideen mangelt es dem Kölner ganz definitiv nicht. Die neue und ungewöhnlichste: der Rückzug aus dem Fernsehen nach mehr als 20 Jahren. „Ich habe mich entschlossen, zum Ende dieses Jahres meine Fernsehschuhe an den Nagel zu hängen“, zitiert der Sender den 48-Jährigen in einer Mitteilung, die sich am späten Mittwochabend in Windeseile verbreitete.
Was hat der Mann für eine Fernsehkarriere hingelegt: Der Motor Raab, er drehte Jahre, Jahrzehnte fast auf Hochtouren, Leerlauf Fehlanzeige. Für Guildo Horn schrieb er 1998 den ESC-Song „Guildo hat euch lieb“. Dieser dürfte zusammen mit Raabs eigenem Auftritt zwei Jahre später – in Elvis-esker Glitzerkostümierung und mit dem Sinnlos-Song „Wadde hadde dudde da?“ – verantwortlich für das Revival des hierzulande bis dahin als gähnend langweilig verschrieenen Eurovision Song Contests sein. Da hatte der Mann, dessen Privatleben zu den am besten gehüteten Geheimnissen im deutschen Showbusiness gehört, dem Musiksender Viva gerade erst den Rücken gekehrt und bei ProSieben sein Dauerprojekt „TV total“ gestartet.
Für andere Moderatoren wäre das eine das Berufsleben ausfüllende Aufgabe gewesen – spätestens nachdem das Format 2001 von einer wöchentlichen zu einer an vier Abenden in der Woche laufenden Show befördert wurde. Nicht so bei Raab: Wok-WMs und Stockcarrennen, Promi-Boxen, Pokerturniere und immer, immer wieder Musik: Für Raab, der allein 780.000 Exemplare der „Maschendrahtzaun“- Single absetzte und es bis heute quer durch sein gesamtes Oeuvre auf etwa 2,5 Millionen verkaufte Tonträger bringt, gehört sie stets dazu.
+++ So reagieren die Promis auf den Abschied +++
Als Gegenentwurf zum unseligen RTL-Gecaste „Deutschland sucht den Superstar“ legte er 2003 „Stefan sucht den Super-Grand-Prix-Star“ auf und bewies den staunenden Zuschauern, dass ausgerechnet er, der über die Jahre so einige Prozesse wegen seiner teils tief unter die Gürtellinie reichenden Scherze ausfechten musste, respektvoll mit Menschen umgehen kann. Die Casting-Show setzte nicht auf die Demütigung talentfreier Kandidaten, sondern tatsächlich auf die Suche nach einem echten Musiker.
Max Mutzke verließ sie als Sieger in Richtung ESC Istanbul und ist heute noch eine bekannte Größe im deutschen Musikgeschäft – im Gegensatz zu Dieter Bohlens Pop-Versatzstücken, die alle längst in der Versenkung verschwunden sind. Ein weiterer von Raabs Geniestreichen, genau wie der „Bundesvision Song Contest“, bei dem Bands aus allen 16 Bundesländern gegeneinander antreten.
Sein größter musikalischer Erfolg ist aber eine junge Hannoveranerin, deren Karriere Raab zwar nicht im Alleingang verantwortete. Als Urheber der Idee zu „Unser Star für Oslo“, als Jury-Vorsitzender und Supervisor der Produktion des Songs „Satellite“ war Raab aber maßgeblich an Lena Meyer-Landruts ESC-Sieg 2010 beteiligt. In seinem eigenen Trophäenregal wäre aber wohl auch kaum noch Platz für die Siegertrophäe des Song-Contests: Raab hat Gold- und Platin-Schallplatten gewonnen, den Echo, den Deutschen Comedypreis und den Deutschen Fernsehpreis gleich mehrfach, zwei Rose d’Or und einen Grimme-Preis sowie diverse weitere Auszeichnungen.
Der Wille, alles bis ganz zum Schluss durchzuziehen, ist Raabs Achillesferse
Und wenn er nicht gerade Sinnfreiheiten wie Woks im Eiskanal, Auto-Fußball oder Quizboxen zu Sportarten erklärt, erhebt er halt sich selbst zum Protagonisten einer Spielshow bis dahin ungekannten Ausmaßes, die gleichzeitig die wohl beste Charakterisierung des Kölner Metzgersohns ist: „Schlag den Raab“ schauen bis zu vier Millionen Menschen nicht allein wegen des kurzweiligen Wettbewerbs zwischen Raab und den durchgängig jüngeren, besser trainierten Kandidaten. Auch das Preisgeld, das sich auf bis zu drei Millionen Euro summierte, macht nur einen Teil des Reizes aus.
Nein, die eigentliche Faszination besteht darin, Raabs unbedingten, weder Kollegen noch Kandidaten und schon gar nicht sich selbst schonenden Willen zum Sieg zu beobachten: Freeclimbing, Eishockey, Motocross, Wissensspiele, Geschicklichkeitsaufgaben, Raab versuchte in bislang 52 der bis zu sechs Stunden langen live übertragenen Ausgaben nach Kräften, keine einzige Spielrunde verloren zu geben. Nur mit Mühe konnte man ihn davon abhalten, eine Gehirnerschütterung und ein gebrochenes Jochbein zu ignorieren. Der Lohn der Quälerei: Nur 16 Mal zog er den Kürzeren, die anderen Duelle gegen Physiker, Tischler, Rechtsanwälte oder Kampfpiloten entschied Raab für sich.
Diese Verbissenheit, dieser Wille, alles bis ganz zum Schluss durchzuziehen, sie sind aber auch Raabs Achillesferse: „TV total“ ist nach mehr als 2100 Folgen völlig ausgelutscht, das Format hätte schon vor Jahren problemfrei eingestampft werden können. Und die riesige Liste von Sport- und Musikablegern, die alle immer weitergeführt werden mussten (?), sie werden das eigentliche Talent Raabs zunehmend behindert haben: etwas völlig Neues aus dem Boden zu stampfen und zum Erfolg zu führen. Geniestreiche blieben in den letzten Jahren aus. Abgesehen vom im Wortsinn einmaligen Coup der Co-Moderation des Kanzlerduells im Rahmen der Bundestagswahl 2013. Da saß der „King of Kotelett“ zwischen Anne Will, Maybrit Illner und Peter Klöppel und brachte ungekannten Schwung in den Schlagabtausch zwischen Peer Steinbrück und Angela Merkel.
Zu dumm, dass Raab sich, was seinen Ausstieg angeht, ziemlich eindeutig ausgedrückt hat. Eine Mammutaufgabe, deren Lösung man ihm zutrauen würde, gäbe es noch im deutschen Fernsehen: die Neuauflage von „Wetten, dass..?“ als Show für das 21. Jahrhundert. Bei der ansonsten vollständig missglückten Mallorca-Ausgabe 2013 hatte er ja bewiesen, dass er Markus Lanz locker an die Wand moderieren kann. Aber vielleicht ist Stefan Raab in ein, zwei Jahren ja so langweilig, dass er den Rücktritt vom Rücktritt erklärt.