Stefan Aust und Claus Richter haben eine zweiteilige Dokumentation über West-Berlin vom Mauerbau bis zum Fall der Mauer gedreht, am heutigen Dienstag zeigt das ZDF Teil eins.

Es ist nicht ganz neu, das einstige West-Berlin als Insel zu bezeichnen, diese von der sozialistischen DDR umgebene Halbstadt. Vor fünf Jahren erst hat der Berliner Autor Wilfried Rott eine ebenso ausführliche wie schön geschriebene Geschichte West-Berlins mit dem Titel „Die Insel“ vorgelegt, in der er das ganze metaphorische Potenzial des Begriffs ausschöpfte. „Die Insel“ heißt auch der zweiteilige Film von Claus Richter und Stefan Aust, den das ZDF am heutigen und am Dienstag kommender Woche zeigt.

Aust dürfte als langjähriger „Spiegel“-Chef hinreichend bekannt sein, Richter ist Redaktionsleiter des ZDF-Politmagazins „Frontal 21“. Sie versuchen sich an einem schwer zu absolvierenden Kunststück. Ihr Zweiteiler soll nämlich alles sein: politische Chronik und Analyse, kultur-, wirtschafts- und sozialhistorische Einordnung. So wie West-Berlin ja auch alles war: „Ein bisschen Disneyland, ein bisschen Horrorkabinett, ein bisschen Museum, ein bisschen Gartenlaube, ein bisschen Truppenübungsplatz“, wie der Off-Kommentar zusammenfasst.

Die Idee des „Wandels kam durch Annäherung“ zustande

Und sie sind auch alle dabei. Willy Brandts außenpolitischer Berater Egon Bahr, der das politische Grundgefühl im West-Berlin in der Zeit des Kalten Kriegs, die Konfrontation von Amerikanern und Sowjets, so beschreibt: „Wenn die Elefanten anfangen zu tanzen, dann treten die Mäuse am besten ruhig zur Seite.“ Oder der in der zweiten Folge ruhig erläutert, wie die Idee des „Wandels durch Annäherung“ zustande kam, die zum Leitmotiv der neuen Ostpolitik Willy Brandts werden sollte.

Dann ist da Berlins ehemaliger Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen, der die Mitschuld am Mauerbau auch in der Passivität der Amerikaner begründet sieht: „Kennedy hat ein Signal gegeben – das lassen wir zu.“ Oder Otto Schily, der die Empfindungen an jenem 13. August 1961 ganz simpel so zusammenfasst: „Wir waren voller Wut.“

Die Bilder rund um den Mauerbau – die Wache schiebenden Vopos, das Zumauern der Fenster an der Bernauer Straße, der über den Stacheldraht springende Soldat – sind natürlich tief in das historische Gedächtnis eingeprägt. Und doch fördert die Dokumentation auch weniger Bekanntes zutage: Ein beschwingtes Lied etwa, das die DDR-Führung wenige Stunden nach der Abriegelung der Grenzen im Rundfunk spielen ließ.

Zynischer hätte man die unverdiente Freiheitsstrafe kaum kommentieren können

„Unser schönes Berlin wird sauber sein“, heißt es in dem von Eberhard Fensch geschriebenen Lied, „denn wir haben den Kalten Kriegern am Rhein / ihre Menschenfalle verriegelt / und mit rotem Wachs versiegelt“. Zynischer hätte man die unverdiente Freiheitsstrafe für die eigenen Bürger kaum kommentieren können.

Dem Mauerbau folgte auch grob Absurdes. Weil die DDR die Reichsbahn verwaltete, gehörten zum Beispiel auch die Bahnhöfe im Westen der Stadt zu ihrem Territorium. Eberhard Diepgen schüttelt heute noch ungläubig mit dem Kopf, wenn er davon berichtet, dass Erich Honecker formal einverstanden sein musste, wenn am Bahnhof Zoo ein neuer Fahrstuhl gebaut werden sollte.

Dem speziellen Verhältnis der Berliner zu Amerika, das durch 1968 zahlreiche Risse erhielt, widmet sich der Film ausgiebig – der ehemalige Botschafter Richard Burt kommt zu Wort, und gleich mehrfach wird hervorgehoben, dass die 6000 in Berlin stationierten US-Soldaten gegen die sowjetische Bedrohung nichts hätten ausrichten können und allenfalls als „Stolperdraht“ eine Funktion gehabt hätten.

Es sind Abgründe und komische Höhepunkte, die dieser Film beleuchtet

Bernhard Brink und Gunter Gabriel, Rolf Eden, Ute Lemper und Rosa von Praunheim, Uschi Obermeier und Romy Haag: Sie alle berichten bald schwärmerisch, bald verwundert über das Nachtleben in der Stadt, die es nicht mehr gibt. Schon mit der Aufhebung der Sperrstunde 1949 hatte sie ein bundesdeutsches Alleinstellungsmerkmal erhalten, dem sich bald weniger erfreuliche hinzugesellten: eine florierende Prostitution etwa oder eine Drogenszene, die mit Christiane F.’s berühmt gewordenen Buch über die „Kinder vom Bahnhof Zoo“ ihr eigenes Mahnmal erhielt.

Es sind Abgründe und komische Höhepunkte, die dieser Film beleuchtet, aber vor allem enthält er Tragik und vieles, worüber man sich noch heute ärgern kann. Das macht ihn sehenswert.

„Die Insel“, Di 20.15 Uhr, ZDF, Teil 2 am 28.10.