Der Politthriller „Die Spiegel-Affäre“ mit Sebastian Rudolph als Rudolf Augstein und Francis Fulton-Smith als Franz Josef Strauß greift die Geschehnisse aus dem Herbst 1962 auf.
Hamburg. Die Intimfeinde treffen sich vor dem Gerichtssaal, wo gerade eine Verleumdungsklage verhandelt wird: Der „Spiegel“ hatte behauptet, der CSU-Politiker Franz Josef Strauß habe sich an dem Wohnungsbauprojekt FIBAG bereichert. Strauß fragt den „Spiegel“-Chefredakteur Rudolf Augstein: „Was haben Sie eigentlich gegen mich als Mensch?“ Augstein kneift, schiebt einen wichtigen Termin vor. Im Weggehen tadelt ihn sein Bruder Josef Augstein: „Da hast du gerade eine Chance vergeben. Du bist besessen.“ Wenige Monate später schlägt Strauß zurück: Auf seine Veranlassung besetzt die Staatsanwaltschaft am 26. Oktober 1962 die Redaktion des „Spiegel“ am Speersort in Hamburg, Augstein und sechs weitere Redakteure werden wegen Verdachts auf Landesverrat verhaftet.
War also – lange vor den „Männerfreunden“ in der Politik – eine Männerfeindschaft der Grund für den Angriff auf die Pressefreiheit, der die junge Republik damals erschütterte? Das jedenfalls legt der Film „Die Spiegel-Affäre“ nahe, den Arte heute Abend und das Erste am kommenden Mittwoch zeigt: Das Kräftemessen zwischen dem Hamburger Nachrichtenmagazin und dem Bundesverteidigungsminister aus Bayern basierte eigentlich auf einer Privatfehde zweier Alphatiere. Dass dieser Blick den historischen Hintergrund nach 52 Jahren allerdings ein wenig arg vereinfacht, hat schon Augsteins Tochter Franziska kürzlich in der „Süddeutschen“ bemängelt.
Regisseur Roland Suso Richter („Der Tunnel“, „Dresden“, „Mogadischu“), Jahrgang 1961, beleuchtet die Ausgangslage immerhin mit Doku-Einblendungen: der Kalte Krieg, die von Strauß eingekauften Starfighter-Kampfflugzeuge, der Mauerbau 1961, die Kuba-Krise, die Furcht vor „dem Russen“. Strauß wollte die Bundesrepublik zur Atommacht ausbauen – der „Spiegel“ griff ihn immer wieder wegen seiner allzu großen Nähe zu Rüstungsfirmen an. Als das Nachrichtenmagazin im Oktober 1962 in dem Bericht „Bedingt abwehrbereit“ die Schwäche der Bundeswehr belegte, glaubte Strauß: An diese Informationen konnten die „Spiegel“-Reporter nur durch einen Verräter gekommen sein.
Durch diese Hintergründe mäandert der Film ein bisschen fix. Dennoch: Sebastian Rudolph als Augstein und Francis Fulton-Smith als Strauß sind überzeugende Antipoden. Zumal sie sich in einem attraktiven Ambiente bewegen: die Redaktionsräume schön verqualmt – gedreht wurde unter anderem im Brahms-Quartier –, Strauß’ Wohnzimmer mittelständisch gemütlich, Bayern als grüne Heimatkulisse. Aus der „Spiegel“-Redaktion des Jahres 1962 wird im Film eine Boygroup, die im piefigen Adenauer-Deutschland witzelnd Rock ’n’ Roll macht und den Sekretärinnen auf den Hintern klatscht.
Die Überraschung des Films aber ist Strauß-Darsteller Francis Fulton-Smith. Bisher kannte man den Bayern mit britischem Pass als Familienmann in Herzschmerz-Mehrteilern oder als sympathischen TV-Anwalt, der für die Armen streitet. Hier zeigt er einen erstaunlich vielschichtigen Strauß: den poltrigen CSU-Landespolitiker, der „dahoam“ Bierzelte entfesselt; den hellwachen Strippenzieher in Bonn; aber eben auch den nachdenklichen Mann, der überzeugt für seine Idee der deutschen „Vorwärtsverteidigung“ kämpft. Und der nicht versteht, was dieser Augstein in Hamburg, die rote Socke, eigentlich gegen ihn hat (dabei war Augstein FDP-Mitglied).
„Die Spiegel-Affäre ist so noch nie beleuchtet worden, Strauß wurde noch nie fiktional gespielt“, sagt Fulton-Smith beim Interview in Hamburg. Auf seine Rolle hat er sich monatelang vorbereitet: Zum einen nutzte er Archivmaterial des Bayerischen Rundfunks und des „Spiegel“. Und er musste für seine Rolle fast 20 Kilo Gewicht zulegen. Man könne „so eine politische Urgewalt nicht mit einem Fatsuit spielen und aus der Rolle eine Karikatur machen“, sagt er.
Das politische Urgestein Strauß zu verkörpern, war für ihn „eine Herausforderung, die nicht jeden Tag um die Ecke kommt“. Fulton-Smith, 1966 in München als Sohn zweier Journalisten geboren, hat Strauß als Bayerns Ministerpräsidenten (ab 1978) und als „eine Art Übervater“ erlebt, der das Agrarland konsequent zu einem Industriestandort ausbaute. Andererseits erlebte er später auch die „Stoppt Strauß!“-Plaketten. Das Klischee des „barocken Machtmenschen“ wollte er durchbrechen: „Mir war von Anfang an klar, dass bei aller Polarisierung, bei aller kritischen Betrachtung irgendwo eine Verletzlichkeit durchschimmern muss.“ Strauß’ Verhältnis zu Augstein sei nicht schwarz-weiß gewesen, sondern komplexer, sagt Fulton-Smith. Beide waren Wehrmachtsoffiziere und in sowjetischer Gefangenschaft gewesen, beide wollten nie wieder Diktatur und Krieg. Im Film wirken sie allerdings wie losgelöst aus Herkunft und politischem Umfeld.
Kurz vor den Dreharbeiten bekam Fulton-Smith eine E-Mail von Strauß-Sohn Franz-Georg: „Ich höre, Sie spielen meinen Vater. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg.“ Darüber hat er sich gefreut. „Ich habe schon vorher gesagt: Wenn am Ende FJS auf einer Wolke sitzt, runterschaut und sagt: ‚Des passt scho‘, dann ist alles gut.“
Die wahre Auseinandersetzung focht der „Spiegel“ übrigens nicht mit Strauß, sondern mit der Bundesanwaltschaft aus, die sogar den damaligen Hamburger Innensenator Helmut Schmidt der Beihilfe zum Landesverrat bezichtigte – er hatte Teile des fraglichen „Spiegel“-Artikels gelesen und mit dem Verfasser, seinem Parteifreund Konrad „Conny“ Ahlers, diskutiert. Das wäre die eigentliche Geschichte der „Spiegel“-Affäre. Aber Franz Josef Strauß und Rudolf Augstein als verwundbare Sturschädel sind natürlich weit schillernder.
„Die Spiegel-Affäre“, Fr 2.5., 20.15 Uhr Arte, Mi 7.5., 20.15 Uhr ARD