Das Magazin „GQ“ ruft mit einer aufsehenerregenden Fotoserie zu Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlicher Liebe auf – die Reaktionen sind fast durchweg positiv.
Hamburg. Das ist doch mal ein feines Vorweihnachtsgeschenk für alle, denen der Grundsatz der Gleichheit aller Menschen am Herzen liegt. Das Magazin „GQ“ überrascht in seiner aktuellen Ausgabe mit einer Aktion gegen Homophobie. „Mundpropaganda“ hat die Redaktion die Fotoserie, zu der auch ein Blog und eine Facebook-Seite gehören, getauft. Unter dem gleichnamigen Hashtag verbreitet sich die Fotostrecke sich küssender heterosexueller Männer in Windeseile in den sozialen Netzwerken. Und die Reaktionen auf Herbert Grönemeyer, der Schauspieler August Diehl herzt, die Band Fettes Brot, die gleich zum knutschenden Dreier ansetzt, die Küsse der ehemaligen rappenden Intimfeinde Thomas D. und Moses Pelham und anderer Prominenter sind zum allergrößten Teil positiv. Liest man sich die Kommentare der User durch, ist da nicht nur der Reflex der „political correctness“ am Werk. Sondern ehrliche Freude darüber, dass ein Männermagazin, das bislang nicht besonders bekannt dafür war, an vorderster Front für die Gleichstellung homosexueller Paare zu kämpfen, sich mit einer gelungenen Fotoserie genau dafür starkmacht. Diese Freude teilt auch Marc-Pierre Hoeft, Pressesprecher von Hamburg Pride: „Wir begrüßen die Aktion sehr, Gleichstellung soll und darf kein schwul-lesbisches Thema bleiben.“
Knutschende Kerle im Vorfeld der Olympischen Winterspiele in Sotschi und der Fußball-WM in Katar – beide werden explizit als Auslöser erwähnt, genau wie eine ziemlich erschreckende Statistik, derzufolge auch nahezu jeder zweite Homosexuelle in Deutschland bereits das Ziel von Diskriminierung oder Gewalt war –, das trifft einen Nerv. Russland wie auch das arabische Emirat sind nicht nur gesellschaftlich, sondern auch politisch äußerst homophob ausgerichtet. In Katar steht gleichgeschlechtlicher Sex unter Strafe, in Russland macht ein Gesetz, das „homosexuelle Propaganda“ verbietet, seit Monaten Schlagzeilen. Da stellt sich nicht nur die Redaktion des Hochglanz-Blatts zu Recht die Frage, warum internationale Großereignisse, die im Zeichen des friedlichen Miteinanders der Völker stehen, in Ländern stattfinden, die die Liebe unter Strafe stellen – wenn sie sich nicht mit überkommenen Vorstellungen von Normalität deckt.
Kritik abseits einiger netztypischer Schmuddelkommentare kommt vom „Freitag“. Jonas Weyrosta bemängelt in einem Beitrag die „Inszenierung der Toleranz“ und setzt die gesamte Aktion mit dem moralischen Zeigefinger einer Mutter gleich, die ihr Kind mit dem Argument, in Afrika müssten Kinder Hunger leiden, zum Aufessen erziehen will. Darüber hinaus kritisiert er, dass die Heterosexualität der knutschenden Paare betont wird. Marc-Pierre Hoeft sieht das anders, spricht Grönemeyer und Co. vielmehr Signalwirkung zu: „Durch Überreizung schafft man Toleranz.“
Dass sich „GQ“-Chefredakteur José Redondo-Vega mit seiner Formulierung, die Fotos hätten „Mut“ gekostet, vielleicht etwas weit aus dem Fenster lehnt – geschenkt. In einem Fotostudio einen anderen Mann zu küssen, das kostet einen heterosexuellen Mann vielleicht Überwindung, aber keinen Mut. Mutig ist es, in Ländern zu demonstrieren, die Gewalt gegen Homosexuelle dulden, die Ungleichbehandlung auch per Gesetz sanktionieren. Trotzdem entwertet das den Charakter der Mundpropaganda nicht. Christoph Becker fasst die Aktion in seinem Kommentar in der „FAZ“ gut zusammen: „Natürlich haben die Kollegen von ‚GQ‘ erkannt, dass dem professionell inszenierten Statement schnelles Lob und positive PR sicher sind. Aber ist die Botschaft deshalb falsch? Mitnichten.“
Der positive Rückhall für die gelungene Aktion, der sich sicher auch nicht negativ auf die Verkaufszahlen auswirkt, ist berechtigt. Man darf in diesem Zusammenhang wohl betriebswirtschaftlich wie gesellschaftlich von einer Win-win-Situation sprechen.